Landesverfassung Herzogtum Sachsen-Coburg-Gotha
Staatsgrundgesetz
für
die Herzogthümer Coburg und Gotha
Wir, Ernst, Herzog zu Sachsen, Coburg und Gotha, Jülich, Cleve und Berg, auch Engern und Westphalen, Landgraf in Thüringen, Markgraf zu Meißen, gefürsteter Graf zu Henneberg, Graf zu der Mark und Ravensberg, Herr zu Ravenstein und Tonna ec.
haben zur Herbeiführung einer übereinstimmenden Verfassung Unserer Lande den Erlaß eines gemeinschaftlichen
Staatsgrundgesetzes für die Herzogthümer Coburg und Gotha
beschlossen und verordnen demnach mit Beirath und Zustimmung der getreuen Stände Unseres Herzogthums Coburg und der Abgeordneten-Versammlung Unseres Herzogthums Gotha was folgt:
[Staatsgrundgesetz für die Herzogthümer Coburg und Gotha
von 3. Mai 1852]
geändert durch
aufgehoben durch
Abschnitt I. Von dem Staatsgebiet, dem Herzog, der Nachfolge in der Regierung und der Regierungsverwesung.
§ 1. Die Herzogthümer Coburg und Gotha bilden ein unter der Regierung des Herzoglichen Hauses von Sachsen-Coburg und Gotha vereinigtes, untrennbares Ganzes, mit nachstehender Verfassung.
§ 2. Die vereinigten Herzogthümer theilen als deutscher Bundesstaat alle aus der Bundesverfassung hervorgehenden Rechte und Pflichten.
§ 3. Die von der Bundesgewalt innerhalb ihrer Zuständigkeit in bundesverfassungsmäßiger Form gefaßten Beschlüsse sind für die vereinigten Herzogthümer maaßgebend und erlangen nach deren Verkündung durch den Herzog (§ 22) verbindende Kraft.
§ 4. Der Herzog ist das Oberhaupt des Staates und übt als solches die Rechte der Staatsgewalt nach der Verfassung.
§ 5. Der Sitz der Regierung hat darf nicht außerhalb des Landes verlegt werden.
§ 6. Das Recht der Regierung ist erblich im Mannsstamme des Herzoglichen Hauses nach dem Rechte der Erstgeburt und der Linealerbfolge.
Zur Successionsfähigkeit wird rechtmäßige Abstammung aus ebenbürtiger, mit Bewilligung des Herzogs geschlossener Ehe erfordert.
§ 7. Wenn der gegenwärtig regierende Herzog ohne Hinterlassung successionsfähiger Nachkommen mit Tode abgehen oder die von ihm hinterlassene successionsfähige Nachkommenschaft aussterben sollte und somit die Nachfolge in die Regierung auf den Bruder desselben, den Prinzen Albert, beziehungsweise dessen successionsfähige Nachkommenschaft übergeht, treten folgende besondere Bestimmungen (§. 8 - 10) ein.
§ 8. Für den Fall, daß der Prinz Albert zur Zeit des Anfalls der Regierung verhindert sein sollte, seinen wesentlichen Aufenthalt in den Herzogthümern zu nehmen, so soll demselben ausnahmsweise gestattet sein, die Regierung derselben durch einen Statthalter führen zu lassen.
§ 9. Von der Nachfolge in der Regierung der Herzogthümer sind der regierende König von England und der voraussichtliche englische Thronfolger (heir apparent des englischen Rechts) ausgeschlossen, dergestalt, daß die Regierung sofort auf den nach ihnen zunächst berechtigten Prinzen übergeht.
Ist jedoch zur Zeit des Erbfalles außer dem regierenden Könige von England oder außer dem englischen Thronfolger oder außer dem Könige und dem Thronfolger ein successionsfähiger Nachkomme aus der Speciallinie des Prinzen Albert nicht vorhanden, so hat im ersteren und ritten Falle der König von England, im zweiten Falle der englische Thronfolger die Regierung der Herzogthümer anzutreten und dieselbe durch einen Statthalter so lange führen zu lassen, bis sie von einem volljährigen successionsfähigen Prinzen aus der Speciallinie des Prinzen Albert übernommen werden kann.
durch diese (eintretenden) Bestimmungen wurden die Herzogtümer zu einer Sekundogenitur des englischen Königshauses. Dass der Herzog Ernst II. keine sukzessionsfähigen Nachkommen mit seiner Frau, Herzogin Alexandrine, geb. Prinzessin
von Baden, haben würde, wurde jedoch erst um ca. 1870 klar und endgültig mit dem Tod des Herzogs 1893, den die Herzogin erlebte. Sekundogenitur ist, dass der zweit- oder nächstgebohrene Sohn eine eigene Linie bildet, bis diese im Mannstamm ausstirbt. Die eigentliche herzogliche Linie (Primogenitur) wurde zum britischen Königshaus, die nachgeborene herzogliche Linie (Sekundogenitur) die Linie der Herzöge von Sachsen-Coburg und Gotha.
Interessant: Wäre der Eingriff in die Primogenitur nicht erfolgt, also immer der gemeine Erbgrundsatz unter Ausschluß der Frauen erfolgt (und wäre der 1. und 2. Weltkrieg nicht gewesen), dann wäre nach dem Tode Herzog Ernst II. der Prinz von Wales, der spätere Eduard VII. Herzog von Sachsen-Coburg und Gotha geworden (1893-1910) und die Könige von Großbritannien und Irland wären bis 1952 auch Herzöge von Sachsen-Coburg und Gotha gewesen. Erst mit dem Tode von König Georg VI. 1952 wäre die Personalunion zwischen Großbritannien und Sachsen-Coburg- und Gotha wieder getrennt worden und Henry, Herzog von Glouchester als nächster männlicher Agnat wäre 1952 Herzog von Sachsen-Coburg und Gotha geworden und hätte die Linie im Mannstamm fortgeführt. Und das heutige deutsche Adelshaus Sachsen-Coburg und Gotha wäre ein entfernte königliche Linie mit dem Titel eines Herzogs von Albany.
§ 10. Dafern bei dem Aussterben der regierenden Linie zwei gleich nahe Linien vorhanden sein sollten, so wird die jüngere durch die ältere ausgeschlossen.
§ 11. Das Alter der Volljährigkeit und der Regierungsmündigkeit tritt für den Herzog sowie für jeden Prinzen des Herzoglichen Hauses überhaupt mit der Zurücklegung des 21. Lebensjahres ein.
§ 12. Ist der Herzog regierungsunmündig oder ist derselbe wegen körperlicher oder geistiger Schwäche oder aus einem anderen Grunde nicht im Stande, die Regierung zu führen oder fortzuführen, so tritt eine Regierungsverwesung ein.
§ 13. Die Regierungsverwesung während der Regierungsunmündigkeit des Herzogs steht, sofern nicht von dem verstorbenen Herzog durch ein mit Zustimmung des gemeinschaftlichen Landtags erlassenes Gesetz eine andere Anordnung getroffen worden, zunächst der leiblichen Mutter des Herzogs zu, so lange dieselbe sich nicht anderweit vermählt, nach dieser dem der Erbfolge nach nächsten regierungsfähigen Agnaten.
§ 14. Der Regierungsverweser ist zugleich persönlicher Vormund des Herzogs.
§ 15. Sollte sich bei einem zunächst nach dem regierenden Herzog zur Regierungsnachfolge bestimmten Prinzen eine solche Beschaffenheit des Geistes oder Körpers zeigen, daß derselbe nicht im Stande wäre, selbst die Regierung gehörig zu führen, so ist noch unter der Regierung des Herzogs durch ein förmliches Staatsgesetz
über den künfigen Eintritt der Regierungsverwesung und die Person des Regierungsverwesers zu bestimmen.
§ 16. Wäre in dem § 15 vorgesehenen Falle das dort vorgeschriebene Gesetz nicht erlassen worden oder würde der Herzog nach erfolgtem Regierungsantritt von der bezeichneten Regierungsunfähigkeit befallen oder sonst an der eigenen Führung der Regierung behindert, so hat das Staatsministreium den Zusammentritt eines aus drei Mitgliedern bestehenden Familienrathes, - zu welchem jedoch der in der Nachfolge nächste volljährige Agnat nicht zugezogen werden darf, - zu veranlassen. Dieser Familienrath hat nach Stimmenmehrheit die Frage zu entscheiden, ob eine Regierungsverwesung nöthig ist. Wird die Frage verneint, so hat es dabei sein Bewenden; wird dieselbe bejaht, so bedarf der Ausspruch zu seiner Gültigkeit der Zustimmung des gemeinschaftlichen Landtags.
§ 17. Im Falle des § 16 steht die Regierungsverwesung, wenn nicht der Familienrath mit Zustimmung des gemeinschaftlichen Landtags ein Anderes bestimmt, der Gemahlin des Herzogs zu, sofern aus dessen Ehe mit derselben ein zur unmittelbaren Nachfolge berechtigter noch nicht regierungsmündiger Prinz vorhanden ist, sonst dem der Erbfolge nach nächsten regierungsfähigen Agnaten.
§ 18. Die Aufhebung der nach § 16 beschlossene Regierungsverwesung wegen Wegfalls der Regierungsunfähigkeit kann nur durch Beschluß eines nach den Bestimmungen des § 16 berufenen Familienrathes und mit Zustimmung des gemeinschaftlichen Landtags erfolgen.
§ 19. Die Staatsregierung kann, ausgenommen in dem § 9 vorgesehenen Falle, auf den Inhaber eines außerdeutschen Thrones nicht gelangen.
Wenn ein Herzog einen außerdeutschen Thron besteigt, so wird dafür angenommen, daß er darauf Verzicht geleistet habe, über die Herzogthümer zu regieren.
§ 20. Der Statthalter sowie der Regierungsverweser muß protestantischen Glaubens sein; jener hat, wie dieser, seinen wesentlichen Aufenthalt in den Herzogthümern zu nehmen.
§ 21. Die Person des Herzogs ist unverletzlich; für seine Regierungshandlungen ist er keiner äußeren Verantwortung im Lande unterworfen.
Dieselben Bestimmungen gelten in Beziehung auf den Regierungsverweser.
Der Statthalter ist dem Herzog verantwortlich.
§ 22. Die Anordnungen des Herzogs, des Regierungsverwesers und des Statthalters sind nur dann Regierungshandlungen, wenn sie schriftlich erlassen und, wenn solches durch besonderes Gesetz bestimmt ist, von einem Mitgliede des Staatsministeriums gegengezeichnet oder unterzeichnet worden sind.
Abschnitt II. Von den Staatsangehörigen und Staatsbürgern und ihren allgemeinen Rechten und Pflichten.
§ 23. Als Staatsangehörige der vereinigten Herzogthümer sind Diejenigen anzusehen, welche in einem derselben ihren bleibenden Wohnsitz haben.
Ausgenommen sind Diejenigen, welche das Recht der Exterritorialität genießen.
§ 24. Staatsbürger der vereinigten Herzogthümer sind Diejenigen, welche in einem derselben Heimathsrecht haben.
§ 25. Das Heimathsrecht in den Herzogthümern wird erworben: a) durch die Geburt, wenn bei ehelich Geborenen der Vater oder bei Unehelichen die Mutter das Heimathsrecht hat, b) durch eine den Landesgesetzen gemäße Verehelichung einer Ausländerin mit einem Staatsbürger, c) durch Gewinnung des Ortsheimathsrechts nach Maßgabe der bestehenden Landesgesetze, d) durch Aufnahme unter die auf Lebenszeit angestellten Staats-, Hof-, Kirchen- und Schuldiener.
§ 26. Das Heimathsrecht in den Herzogthümern wird verloren: a) durch Auswanderung von dem Augenblicke des Wegzugs an für den Auswandernden sowohl als die mit ihm wegziehenden Kinder, b) durch die Verehelichung einer Staatsbürgerin mit einem in einem anderen Staate Heimathberechtigten, c) durch den Eintritt in auswärtige Staats- und Militärdienste. Beim Eintritt in andere deutsche Staats- und Militärdienste kann jedoch das Heimathsrecht durch die Staatsregierung vorbehalten werden.
§ 27. Die nach Verfassung und Gesetz bestehenden staatsbürgerlichen Rechte können vorübergehend nicht ausgeübt werden: a) von Denjenigen, welche eine Freiheitsstrafe erstehen oder sich in gerichtlicher Untersuchungshaft befinden, b) von den unter elterlicher Gewalt oder unter irgend einer Vormundschaft befindlichen Personen, c) von den Dienstboten und Handwerksgesellen ohne eigenen Hausstand, so wie den Handlungs- und anderen Geschäftsgehülfen, welche keinen eigenen Hausstand haben oder sich im Brod ihrer Handlungs- und Geschäftsherren befinden, d) von einem Gemeinschuldner, gegen welchen der Concurs eröffnet worden ist, während der Dauer dieses Concurses und innerhalb der nächsten 10 Jahre, sofern die vollständige Befriedigung der Gläubiger nicht schon früher erfolgt sein sollte, e) von einem Gemeinschuldner, der mit seinen Gläubigern einen gerichtlichen Accord abgeschlossen, bis zur accordmäßigen Befriedigung der Letzteren,
f) von Denjenigen, welche dauernde Unterstützung (Almosen) aus öffentlichen oder Gemeindemitteln beziehen.
§ 28. Jeder Staatsbürger hat nach Erreichung des achtzehnten Lebensjahres, folgenden Eid abzuleisten: "Ich schwöre Treue dem Herzog, Gehorsam dem Gesetze und Beobachtung der Verfassung. So wahr mir Gott helfe."
§ 29. Die Auswanderungsfreiheit ist von Staatswegen nur für die Dauer bereits eingetretener Wehrpflicht beschränkt, Abzugsgelder von Auswanderern dürfen nicht erhoben werden.
§ 30. Vor dem Gesetz gilt kein Unterschied der Stände. Standesvorrechte finden nicht Statt. Die öffentlichen Ämter sind für alle dazu befähigten Staatsbürger, unter Einhaltung der von den Gesetzen festgestellten Bedingungen, gleich zugänglich.
§ 31. Niemand darf seinem gesetzlichen Richter entzogen werden. Ausnahmegerichte sollen nicht Statt finden.
§ 32. Die Bedingungen und Formen, unter welchen die Verhaftung einer Person, die Durchsuchung einer Wohnung, die Beschlagnahme und Durchsuchung von Briefen erfolgen darf, können nur durch Gesetz festgestellt werden.
§ 33. Die Freiheit des religiösen Bekenntnisses, die Freiheit der Vereinigung zur Religions-Gesellschaften, deren Grundsätze weder den Strafgesetzen, noch der Sittlichkeit zuwiderlaufen, und die Freiheit der gemeinsamen häuslichen und öffentlichen Religionsausübung wird gewährleistet.
§ 34. Durch das religiöse Bekenntniß wird der Genuß der staatsbürgerlichen Rechte weder bedingt noch beschränkt. Den staatsbürgerlichen Pflichten darf dasselbe keinen Abbruch thun.
§ 35. Keine Religionsgesellschaft genießt vor anderen Vorrechte in kirchlicher Hinsicht; vielmehr gewährt der Staat allen gleichen Schutz. Verordnungen der Kirchengewalt können ohne vorgängige Genehmigung der Staatsregierung weder verkündigt noch vollzogen werden.
§ 36. Die Religionsverschiedenheit ist kein bürgerliches Ehehinderniß.
§ 37. Das Unterrichts- und Erziehungswesen steht unter der Oberaufsicht des Staates.
§ 38. Unterrichts- und Erziehungsanstalten zu gründen, zu leiten und an solchen Unterricht zu ertheilen, steht jedem Staatsangehörigen frei, wenn er seine sittliche, wissenschaftliche und technische Befähigung der treffenden Staatsbehörde nachgewiesen hat.
Der häusliche Unterricht unterliegt keiner solchen Beschränkung.
§ 39. Für die Bildung der Jugend soll durch öffentliche Schulen überall genügend gesorgt werden.
Der Staat trägt dafür Sorge, daß auch den Unbemittelten der nöthige Unterricht in den öffentlichen Volksschulen zu Theil werde.
Ältern und Vormünder dürfen ihre Kinder und Pflegebefohlenen nicht ohne den Unterricht lassen, welcher für die öffentlichen Volksschulen vorgeschrieben ist.
§ 40. Die Lehrer der Volksschulen, welche ihre sittliche, wissenschaftliche und technische Befähigung zuvor der betreffenden Staatsbehörde nachzuweisen haben, werden vom Staate unter Betheiligung der Gemeinden angestellt. Dieses Verhältniß wird durch ein Gesetz geordnet werden.
§ 41. Die Rechtsverhältnisse derjenigen öffentlichen Lehrer als Staatsdiener, auf welche das Staatsdienstgesetz keine Anwendung findet, sowie deren rechtliche Beziehungen zu den Gemeinden werden durch Gesetz geordnet.
§ 42. Die Mittel zur Errichtung, Unterhaltung und Erweiterung der öffentlichen Volksschulen werden von den Gemeinden und im Falle des nachgewiesenen Unvermögens ergänzungsweise vom Staate aufgebracht.
An den durch besondere Rechtsverhältnisse begründeten Verpflichtungen Dritter wird durch die vorstehende Bestimmung nichts geändert.
§ 43. Das Recht der freien Meinungsäußerung durch Wort, Schrift, Druck und bildliche Darstellung findet in seinem vollen Umfange Statt, unbeschadet der Repressivgesetzen gegen den Mißbrauch dieses Rechts.
Die Presse darf nicht unter Censur gestellt werden.
Vergehen, welche durch Wort, Schrift, Druck und bildliche Darstellung begangen werden, sind bis zur Ausführung des § 139 nach den bestehenden Strafprozeßgesetzen zu behandeln.
§ 44. Alle Staatsangehörigen sind berechtigt, sich ohne vorgängige obrigkeitliche Erlaubniß friedlich und ohne Waffen zu versammeln.
Von Versammlungen unter freiem Himmel ist 24 Stunden vorher von dem Unternehmer oder Leiter der Versammlung der Bezirks-Polizeibehörde Anzeige zu machen, welche die Versammlung zu verbieten hat, wenn ausreichender Grund zu der Annahme vorhanden ist, daß sie der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung werden gefährlich werden.
§ 45. Die Art und Weise, wie durch bewaffnete Mannschaft zur Aufrechthaltung des gesetzlichen Zustandes eingeschritten werden darf, welche Behörden und unter welchen Formen dieselben den Befehl dazu zu ertheilen haben, ist durch gesetzliche Bestimmungen zu regeln.
§ 46. Alle Staatsangehörigen haben das Recht, zu solchen Zwecken, welche den Strafgesetzen oder der Sittlichkeit nicht zuwiderlaufen, Vereine zu bilden. Das Nähere bleibt der gesetzlichen Feststellung vorbehalten.
Die Ertheilung von Corporationsrechten steht der Staatsregierung zu.
§ 47. Die Theilnahme activer Militärpersonen, mit Einschluß der Beurlaubten, an Versammlungen und Vereinen darf nur insoweit Statt finden, als die militärischen Disciplinarvorschriften nicht entgegenstehen.
§ 48. Jeder Staatsangehörige hat das Recht, sich mit Bitten und Beschwerden allen oder in Verbindung mit Mehreren schriftlich an die Behörde oder an den Landtag (cf. § 45 der Geschäfts-Ordnung Beil. II) zu wenden.
Petitionen und Beschwerden unter einem Gesammtnamen sind nur Behörden und Corporationen gestattet.
Bei dem activen Militär, mit Einschluß der Beurlaubten, darf das Petitions- und Beschwerderecht nur nach Maaßgabe der Disciplinarvorschriften ausgeübt werden.
§ 49. Das Eigenthum ist unverletzlich. Zwangsenteignung aus Rücksichten des gemeinen Besten (Expropriation) kann nur auf Grund des Gesetzes und gegen gerechte Entschädigung vorgenommen werden.
Das geistige Eigenthum soll durch Gesetz geschützt werden.
§ 50. Die Strafe der Vermögenseinziehung bleibt für immer abgeschafft.
§ 51. Die Bestimmungen über die Veräußerlichkeit und Theilbarkeit des Grundeigenthums, sowohl unter Lebenden als von Todeswegen, sowie über die Zusammenlegung von Grundstücken, bleiben der besonderen gesetzlichen Feststellung überlassen.
§ 52. Für die todte Hand sind Beschränkungen des Rechts, Liegenschaften zu erwerben und über sie zu verfügen, im Wege der Gesetzgebung aus Gründen des öffentlichen Wohls zulässig.
§ 53. Jeder Unterthänigkeits- und Hörigkeitsverband ist für immer aufgehoben.
§ 54. Im Grundeigenthum liegt die Berechtigung zur Jagd auf eigenem Grund und Boden. Die Ausübung des Jagdrechts unterliegt den gesetzlichen Bestimmungen.
Die Jagdgerechtigkeit auf fremdem Grund und Boden darf in Zukunft nicht wieder als Grundgerechtigkeit bestellt werden.
§ 55. Die Errichtung neuer Lehne ist unstatthaft.
§ 56. Alle auf dem Grund und Boden haftenden privatrechtlichen Abgaben und Leistungen sind ablösbar.
Es soll fortan kein Grundstück mit einer unablösbaren privatrechtlichen Abgabe oder Leistung belastet werden.
§ 57. Moratorien, Monopolien und ausschließende Gewerbs- und Handels-Privilegien - mit Ausnahme von Erfindungs-Patenten - dürfen nicht ertheilt werden.
§ 58. Die Besteuerung soll so geordnet werden, daß eine Bevorzugung einzelner Stände und Güter nicht Statt findet.
Bleibende Befreiungen von der Verbindlichkeit zur Tragung der Staatslasten dürfen nicht bewilligt werden.
§ 59. Alle Staatsbürger sind wehrpflichtig. Den Umfang dieser Pflicht sowie die Art und Weise der Einstellung und die Dienstzeit bestimmt das Gesetz.
Abschnitt III. Von den Gemeinden und Stiftungen.
§ 60. Jeder Staatsbürger muß einer Gemeinde angehören.
§ 61. Jedes Grundstück muß einem Gemeindeverbande angehören.
Ausnahmen wegen Staats- und Domainengüter sowie wegen Waldungen werden durch Gesetz bestimmt.
§ 62. Das Stimm- und Leistungsverhältniß der Eigenthümer solcher Grundbesitzungen, welche einem Gemeindeverband bisher noch nicht angehört haben, den anderen Gemeindegliedern gegenüber, wird gesetzlich geordnet.
§ 63. Die Grundsätze über Bildung und Auflösung von Gemeinden werden durch Gesetz bestimmt.
§ 64. Die Verfassung der Gemeinden soll durch Gesetz in der Art geregelt werden, daß dieselben unter Oberaufsicht des Staates: 1) ihre Beamten und Vertreter zu wählen, 2) selbstständig ihre Angelegenheiten und ihr Vermögen zu verwalten und die Ergebnisse des Gemeindehaushalts zu veröffentlichen haben.
Auch soll die Competenz der Gemeinden bezüglich der Ortspolizei gesetzlich bestimmt werden.
§ 65. Das Vermögen und die Einkünfte der Gemeinden können unter keiner Voraussetzung dem Staatsvermögen einverleibt werden.
§ 66. Alle Stiftungen, die für die Gottesverehrung, den Unterricht oder zu Wohlthätigkeitszwecken bestimmt sind, stehen unter dem Schutze des Staates. Ihr Vermögen oder Einkommen darf dem Staatsvermögen nicht einverleibt werden; auch darf darüber gegen den Willen der Stiften nicht verfügt werden.
Nur in dem Falle, wo der Stiftungszweck nicht mehr zu erreichen ist, kann Verwendung zu anderen ähnlichen Zwecken, mit Vorwissen und Zustimmung der etwa bekannten Betheiligten und, sofern es sich um allgemeine Landesanstalten handelt, mit Einwilligung des betreffenden Landtags eintreten.
Abschnitt IV. Vom Staatsdienste.
§ 67. Die Verhältnisse der Staatsdiener in den Herzogthümer werden durch Gesetz geregelt.
§ 68. Für die Schäden, welche einem Staatsangehörigen durch die Arglist oder grobe Verschuldung der Staatsbeamten als solcher verursacht werden, hat der Staat - insofern nicht besondere Gesetze in gewissen Fällen eine unmittelbare Vertretungsverbindlichkeit desselben festsetzen -, dann zu haften, wenn der Beschädigte den Schadenersatz vom schuldigen Beamten nicht zu erlangen vermag.
Die deßfallsigen Entschädigungsansprüche an den Staat sind jedoch schon nach Ablauf von fünf Jahren nach Eintritt des beschädigenden Ereignisses als erloschen zu betrachten.
Abschnitt V. Von den Landtagen.
§ 69. Die Staatsbürger üben die in ihrer Gesammtheit ihnen verfassungsmäßig zustehenden Rechte durch die Landtage, bezüglich durch die von Letzteren gewählten Ausschüsse (cf. Abschnitt VI) aus.
Die Versammlungen der auf verfassungsmäßige Weise erwählten Abgeordneten bilden die Landtage.
§ 70. Für jedes der Herzogthümer Coburg und Gotha bestehet ein besonderer Landtag. In Bezug auf diejenigen Verhältnisse, Angelegenheiten und Einrichtungen, welche als gemeinsam für beide Herzogthümer erklärt sind, übt ein gemeinschaftlicher Landtag die den Landesvertretungen zustehenden Rechte in der im Abschnitt VII näher bestimmten Weise aus.
Alle den Landtagen verfassungsmäßig zukommenden Befugnisse (§ 69), so weit dieselben dem gemeinschaftlichen Landtage nicht ausdrücklich zugewiesen sind, werden durch die Landtage der beiden Herzogthümern ausgeübt.
§ 71. Als gemeinsam für beide Herzogthümer (§ 70) sind anzusehen: 1) das Verhältniß der vereinigten Herzogthümer zum Herzog, mit Ausschuß der Bezüge des Herzogs und des Herzoglichen Hauses aus Staats- und Domainenmitteln;
2) alle Beziehungen der Herzogthümer zu deutschen Staatsorganismus und zu auswärtigen Staaten; 3) das Staatsgrundgesetz (cf. jedoch § 112); 4) der gemeinschaftliche Landtag; 5) das Staatsministerium (cf. jedoch § 132 sub 1); 6) der Staatsgerichtshof; 7) das Militärwesen; 8) das Oberappellationsgericht und der durch ein Gesetz zu errichtende gemeinsame Apellhof, nebst den damit in Verbindung stehenden Einrichtungen; 9) die Postsachen; 10) die Zollsachen und 11) die Staatsarchive.
§ 72. Auch noch andere als die im vorstehenden Paragraphen bezeichneten Angelegenheiten und Einrichtungen können auf Veranlassung oder mit Zustimmung des Herzogs durch einen übereinstimmenden Beschluß der Landtage der beiden Herzogthümer für gemeinsam erklärt werden.
§ 73. Der Landtag für Coburg besteht aus 11, der für Gotha aus 19 Mitgliedern, über deren Wahl der Abschnitt VIII, bezüglich der Wahlordnung (Beil. I), die näheren Bestimmungen enthält.
Der gemeinschaftliche Landtag besteht aus 7 Mitgliedern des Coburgischen und aus 14 Mitgliedern des Gothaischen Landtags, welche von diesen durch Wahl nach absolutem Stimmenmehr zum gemeinschaftlichen Landtag abgeordnet werden.
Diese Wahl, welche zugleicht für Gotha auf 3, für Coburg auf 2 Stellvertreter zu erstrecken ist, wird von jedem Landtage während seiner ersten Tagung vorgenommen.
§ 74. Die Wahl der Abgeordneten zu den Landtagen erfolgt auf einen vierjährigen Zeitraum.
Dieser Zeitraum (Wahlperiode) beginnt ein Jahr vor dem Anfang der auf die Wahl folgenden Finanzperiode (§ 119).
Ergänzungswahlen geschehen auf den noch übrigen Theil der Wahlperiode.
Erfolgt die Auflösung des Landtags (Cf. § 78), so erstreckt sich die gesetzliche Dauer der Wirksamkeit des neuen Landtags ebenfalls nur auf den noch übrigen Theil der Wahlperiode.
§ 75. Mit der Beendigung der gesetzlichen Dauer der Wirksamkeit eines Landtags erlischt auch die Vollmacht der aus demselben zu dem gemeinschaftlichen Landtage abgeordneten Mitglieder (cf. jedoch § 95 und § 158).
§ 76. Der Herzog beruft die Landtage ein und bestimmt den Ort derselben in dem betreffenden Herzogthum.
Der gemeinschaftliche Landtag ist jedoch in der Regel und dafern nicht besondere, bei der Einberufung anzugebende Gründe einzelne Ausnahmen erfordern, zur Haltung seiner Sitzungen abwechselnd nach Coburg und nach Gotha zu berufen.
§ 77. Der Herzog eröffnet die Landtage entweder in Person oder durch einen dazu besonders ernannten Bevollmächtigten.
§ 78. Dem Herzog steht das Recht zu, die Landtage zu vertagen und aufzulösen.
§ 79. Erfolgt die Auflösung des Landtags eines der beiden Herzogthümer, so ist binnen 14 Tagen eine neue Wahl anzuordnen und längstens binnen sechs Monaten, von Anordnung der Wahl an, der neue Landtag wieder zu eröffnen.
Bei Auflösung des gemeinschaftlichen Landtags sind die beiderseitigen Landtage zu Bewirkung einer Neuwahl für denselben längstens binnen drei Monaten, von dem Zeitpunkte der Auflösung an gerechnet, zusammenzuberufen.
§ 80. Die Landtage werden regelmäßig in dem ersten und letzten Jahre des vierjährigen Zeitraums, auf welchen die Abgeordneten gewählt sind (cf. § 74), einberufen.
Außerordentliche Einberufungen finden Statt, so oft dringende Angelegenheiten solches erfordern.
§ 81. Die Landtage haben die Gültigkeit der Wahlen ihrer Mitglieder zu prüfen und darüber endgültig zu entscheiden, wozu ihnen die Wahlacten von der Staatsregierung mitzutheilen sind.
Die näheren Bestimmungen hierüber enthält die Geschäftsordnung (Beil. II).
§ 82. Die Landtage haben ihre Beamten und zwar aus ihrer Mitte selbst zu wählen.
Die näheren Bestimmungen enthält die Geschäftsordnung (Beil. II).
§ 83. Die Abgeordneten legen bei ihrem Eintritte in die Landtage den Eid ab: "Ich schwöre, daß ich als Abgeordneter die Staatsverfassung treu bewahren und das Wohl des Herzogs und des Staates nach meinem besten Wissen und Gewissen im Auge behalten will. So wahr mir Gott helfe !"
§ 84. Die Abgeordneten sind Vertreter der Gesamtheit der Staatsbrüger, nicht ihrer Wahlbezirke als solcehr oder einzelner Volksclassen. Sie stimmen nach ihrer freien Überzeugung und haben keine Vorschriften von ihren Wählern anzunehmen. Auch kann die gesetzliche Dauer ihrer Wirksamkeit durch den Willen ihrer Wähler nicht beschränkt werden.
§ 85. Kein Abgeordneter darf wegen der in Ausübung seines Berufs gethanen Äußerungen außerhalb des Landtags zur Verantwortung gezogen werden.
Wegen eines durch solche Äußerungen etwa begangenen Verbrechens oder Vergehens kann der Landtag seine Mißbilligung förmlich aussprechen, auch den Fall auf Antrag des Betheiligten zur strafrechtlichen Erledigung an das Gericht verweisen.
Wegen seiner Abstimmung darf Niemand zur Verantwortung gezogen werden.
§ 86. Kein Abgeordneter darf während der Versammlung eines Landtags ohne dessen Zustimmung verhaftet werden, den Fall der Ergreifung auf frischer That wegen Verbrechens ausgenommen. In letzterem Falle ist dem Landtag sofort Anzeige von der erfolgten Verhaftung zu machen.
§ 87. Der Austritt aus den Landtagen steht den Abgeordneten zu jeder Zeit frei (cf. § 87 der Geschäftsordnung, Beil. II).
§ 88. Zur Gültigkeit eines von den Landtagen zu fassenden Beschlusses ist, - sofern nicht für besondere Fälle etwas Anderes bestimmt worden, - die Anwesenheit und Theilnahme von wenigstens zwei Drittheilen der verfassungsmäßigen Gesammtzahl der Mitglieder des betreffenden Landtags und Stimmenmehrheit von mehr als der Hälfte der Stimmenden erforderlich.
Um die Beschlußfähigkeit eines Landtags, welcher nicht in beschlußfähiger Zahl vorhanden ist, herbeizuführen, sind die erschienenen Abgeordneten, falls ihre Zahl die Mehrheit der verfassungsmäßigen Gesammtzahl der Landtagsmitglieder erreicht, berechtigt, die ohne genügenden Entschuldigungsgrund abwesenden Mitglieder unter Festsetzung einer kurzen Frist zu berufen, und nach Ablauf dieser Frist die Landtagsgeschäfte zu erledigen.
Über die Erheblichkeit der vorgebrachten Entschuldigungsgründe entscheiden die erschienenen Mitglieder.
§ 89. Die Sitzungen der Landtage sind in der Regel öffentlich.
Ausnahmen finden dann Statt, wenn dieß ein Landtag auf Antrag des Staatsministeriums, oder eines Drittheils der anwesenden Abgeordneten , oder des Präsidenten oder einer Commission nach Maaßgabe der Geschäftsordnung (Beil. II, § 47) beschließt.
§ 90. Die Landtagsabgeordneten beziehen aus der Staatscasse Diäten und Reisekosten. Das Nähere hierüber bestimmt die Geschäftsordnung (Beil. II).
Abschnitt VI. Von den Landtags-Ausschüssen.
§ 91. Für jeden Landtag besteht ein Ausschuß, dessen Thätigkeit stets dann eintritt, wenn der betreffende Landtag nicht versammelt ist.
§ 92. Der Ausschuß jedes Landtags wird gebildet: 1) aus dem Präsidenten und dem Schriftführer, und 2) aus noch drei anderen Mitgliedern desselben.
Die Letzteren und drei Stellvertreter werden von jedem Landtage während seiner ersten Tagung durch Stimmenmehrheit gewählt.
Für den Ausschuß des gemeinschaftlichen Landtages hat die Wahl dieser drei Mitglieder und deren Stellvertreter in der Art zu geschehen, daß von den fünf Mitgliedern des Ausschusses stets drei aus dem Herzogthum Gotha, zwei aus dem Herzogthum Coburg angehören.
Der Präsident des Landtages ist zugleich Vorsitzender des Ausschusses.
Sein Stellvertreter für Fälle des Abganges oder der Verhinderung wird vom Ausschusse aus dessen Mitte gewählt.
§ 93. Die Sitzungen des Coburgischen Ausschusses werden in Coburg, die des Gothaischen in Gotha abgehalten.
Der Ausschuß des gemeinschaftlichen Landtages hat seine Sitzungen mit möglichst gleichmäßiger Abwechselung in Coburg oder Gotha zu halten.
§ 94. Die Thätigkeit eines jeden Ausschusses hört mit der wieder eintretenden Versammlung des betreffenden Landtages auf. Sofern dieser Landtag ein neu gewählter ist, erlischt mit dem Zusammentritt desselben das Mandat der Ausschußmitglieder. Der neue Landtag ist berechtigt, von dem bisherigen Ausschusse über dessen Geschäftsführung Auskunft und Rechenschaft zu verlangen.
§ 95. Der Ausschuß besteht fort, auch wenn die Auflösung des betreffenden Landtags erfolgt.
§ 96. Die Mitglieder der Ausschüsse haben während der Versammlung der Letzteren dieselben Rechte, welche den Landtagsabgeordneten nach § 85 und § 86 zustehen.
§ 97. Die Ausschüsse haben, wein jeder innerhalb der Competenz des betreffenden Landtags: 1) darüber zu wachen, daß Nichts gegen die Verfassung geschehe, und zur Aufrechterhaltung derselben alle den Landtagen verfassungsmäßig zustehenden Rechte zu üben; 2) sich in den § 118 und § 131 bemerkten Fällen über die Maaßregeln der Staatsregierung zu erklären; 3) sich auf Ansinnen der Staatsregierung über Gegenstände der Gesetzgebung und Staatsverwaltung zu äußern und überhaupt Geschäfte der Landtage vorzubereiten; 4) von Überschreitungen einzelner Positionen des Voranschlags der Staatscasse sowohl als den Finalrechnungsabschlüssen und Jahresrechnungen der Letzteren Kenntniß zu
nehmen und sich auf die dießfallsigen Vorlagen der Staatsregierung dann definitiv zu erklären, wenn nicht wenigstens zwei Mitglieder des Ausschusses die Kenntnißnahme und Beschlußfassung des betreffenden Landtags für nöthig erachten, und 5) das Recht der Bitte, Anträge und Beschwerden in den Grenzen zu üben, welche den Landtagen selbst angewiesen sind.
§ 98. Die Ausschüsse versammeln sich auf Berufung ihrer Vorsitzenden.
Jeder Ausschuß hat das Recht, sich einmal im Jahre nach vorgängiger Anzeige an den Herzog zu versammeln.
Die Verlängerung dieser Tagung über 4 Wochen sowie weitere Versammlungen können nur auf Veranlassung oder mit Genehmigung des Herzogs erfolgen.
Im Übrigen bleibt es dem Vorsitzenden überlassen, einzelne Geschäfte durch Einholung schriftlicher Erklärungen der Ausschußmitglieder, insofern nicht von Einem oder Mehreren derselben dagegen Widerspruch erhoben wird, zur Erledigung zu bringen.
§ 99. Die Sitzungen der Ausschüsse sind nicht öffentlich. Die Protocollführung besorgt der betreffende Archivar, (cf. § 20 der Geschäftsordnung, Beil. II).
§ 100. Bei den Abstimmungen entscheidet - bei rechtzeitiger Berufung aller Mitglieder und das Erscheinen von mindestens dreien derselben vorausgesetzt - die nach der verfassungsmäßigen Gesammtzahl der Ausschußmitglieder zu berechnende Mehrheit der Stimmen, (cf. jedoch § 97 sub 4).
§ 101. Der Geschäftsverkehr zwischen der Staatsregierung und den Ausschüssen wird durch die Vorsitzenden der Letzteren vermittelt.
§ 102. Jeder Ausschuß hat dem Landtage, von dem er gewählt worden ist, bei dessen nächster Versammlung auf dessen Verlangen über seine Thätigkeit Bericht zu erstatten, (cf. auch § 94).
§ 103. Bei Versammlungen der Ausschüsse haben die sämmtlichen Mitglieder derselben den Ersatz der Reisekosten und die den Landtags-Abgeordneten zukommenden Diäten zu beanspruchen. Die Vorsitzenden erhalten für ihren unvermeidlichen Mehraufwand an Zeit und Kosten eine entsprechende Entschädigung, über deren Betrag sich die Staatsregierung mit dem betreffenden Landtage zu vereinbaren hat.
Abschnitt VII. Von der Ausübung der Staatsgewalt.
§ 104. Die gesetzgebende Gewalt wird von dem Herzog in Gemeinschaft mit den Landtagen nach Maaßgabe der in der Verfassung enthaltenen Bestimmungen ausgeübt.
§ 105. Sowohl der Herzog als die Landtage haben das Recht, Gesetze in Vorschlag zu bringen.
§ 106. Zur Gültigkeit eines Gesetzes ist die Übereinstimmung seines Inhalts mit den Beschlüssen des betreffenden Landtags erforderlich.
Auch kann ohne Zustimmung des betreffenden Landtags kein Gesetz von dem Herzog suspendirt, aufgehoben, abgeändert oder authentisch ausgelegt werden.
§ 107. Jeder Beschluß eines Landtags bedarf der Bestätigung des Herzogs, um Gesetzeskraft zu erlangen.
§ 108. Der Herzog verkündigt die Gesetze.
Zur wesentlichen Form eines Gesetzes gehört die Erwähnung der Zustimmung des Landtags zu demselben in den Verkündigungsworten.
§ 109. Die Bestätigung der von den Landtagen beschlossenen Gesetze durch den Herzog gilt als verweigert, wenn die Verkündigung derselben binnen acht Wochen von der Zeit an gerechnet, wo sie der Staatsregierung mitgetheilt worden, nicht erfolgt ist.
§ 110. Jedes Gesetz tritt, wenn in demselben nicht ausdrücklich ein anderer Zeitpunkt hierfür bestimmt wird, am vierten Tage nach dem Tage, an welchem seine Verkündigung durch das Regierungsblatt erfolgt ist, in Kraft.
§ 111. Zu der Competenz des gemeinschaftlichen Landtags gehört die Gesetzgebung: a) bezüglich der im § 71 genannten gemeinsamen Angelegenheiten und Einrichtungen, und der etwa noch ferner (§ 72) für gemeinsam erklärten Gegenstände (cf. jedoch § 112 und 113); b) über den Staatsdienst, und c) über Veränderungen in der Organisation der Behörden, wenn in deren Folge eine Behörde aus dem einen Herzogthum in das andere verlegt werden soll, oder Functionen, welche mit einer in einem der Herzogthümer bestehenden Behörde verbunden waren, einer in dem anderen Herzogthum bestehenden Behörde übertragen werden sollen, (cf. jedoch §§112).
§ 112. Beschlüsse des gemeinschaftlichen Landtags über Abänderungen des Staatsgrundgesetzes und der als integrirende Bestandtheile desselben bezeichneten, sonstigen verfassungsmäßigen Bestimmungen, sowie Beschlüsse über Veränderungen in der Organisation der Behörden (§ 111 sub c) erfordern zu ihrer Gültigkeit, daß die Landtage beider Herzogthümer ihre Zustimmung dazu geben.
Über Abänderungen der Wahlordnung (Beil. I) und der Geschäftsordnung (Beilage II), sowie des Gesetzes über den Civilstaatsdienst beschließt jedoch der gemeinschaftliche Landtag allein.
§ 113. Einer Abänderung des Staatsgrundgesetzes ist die Veräußerung einzelner Gebietstheile und die Aufnahme neuer Gebietstheile gleich zu achten und leidet demnach die Vorschrift des § 112 hierauf Anwendung.
§ 114. Außer den im § 111 bezeichneten Gesetzgebungsangelegenheiten können auch noch andere dem gemeinschaftlichen Landtage auf Veranlassung oder mit Zustimmung des Herzogs durch übereinstimmenden Beschluß der Landtage beider Herzogthümer zur Beschlußfassung zugewiesen werden.
In diesen Fällen ist nach den Berathungen und Beschlußfassung über die einzelnen Gesetzgebungsbestimmungen stets eine Endabstimmung über das ganze Gesetz vorzunehmen und Letzteres gilt nur dann als angenommen, wenn die Mehrheit der Abgeordneten eines jeden der beiden Herzogthümer zum gemeinschaftlichen Landtage dafür gestimmt hat.
§ 115. Werden über die Competenz des gemeinschaftlichen Landtages hinsichtlich eines ihm zur Berathung vorliegenden Gegenstandes in seiner Mitte Zweifel erhoben, so ist dieselbe dann als begründet anzusehen, wenn sich die Mehrheit der Abgeordneten eines jeder der beiden Herzogthümer im gemeinschaftlichen Landtage dafür erklärt hat.
Dafern jedoch die Mehrheit der anwesenden Abgeordneten des einen Herzogthums dafür stimmt, daß der Gegenstand zu der Competenz der einzelnen Landtage gehöre, so ist die Frage einem Schiedsgerichte, über welches sich die Abgeordneten beider Herzogthümer zu vereinbaren haben, zur Entscheidung vorzulegen. Kommt die Vereinbarung über ein Schiedsgericht innerhalb vierzehn Tagen nicht zu Stande, so ist die Frage vor den Staatsgerichtshof und bis dahin, wo ein solcher durch Gesetz bestellt worden, vor das Oberappellationsgericht zu Jena zu bringen.
In beiden Fällen ist die Entscheidung durch die Staatsregierung einzuholen, den Abgeordneten eines jeden Herzogthums aber gestattet, zur Begründung ihrer Ansicht eine Deductionsschrift beizufügen.
§ 116. Der gemeinschaftliche Landtag hat überdem die Verpflichtung, sich auf Gesinnen der Staatsregierung der Vorprüfung und Begutachtung derjenigen Gesetzentwürfe, sowie aller sonstigen Regierungsvorlagen zu unterziehen, welche zu der Competenz der Landtage eines jeden Herzogthums gehören und die Staatsregierung an diese zu bringen die Absicht hat.
§ 117. Die Veräußerung oder Belastung von Bestandtheilen des Staats- oder Domainenguts, mit Ausnahme geringfügiger Fälle, die Änderungen hinsichtlich der bisherigen Eintheilung des Landes in Ämter und Verwaltungsbezirke sind als Gegenstände der Gesetzgebung zu behandeln.
Von den in den vorgedachten Ausnahmefällen erfolgten Veräußerungen oder Belastungen des Staats- oder Domainenguts hat die Staatsregierung den betreffenden Landtag bei dessen nächstem Zusammentritt in Kenntniß zu setzen.
§ 118. Die Steuerverwilligung überhaupt. sowie die Auferlegung oder Veränderung aller öffentlichen Abgaben, die Aufnahme von Anleihen auf die Staatskasse, die Creirung von Papiergeld jeder Art und die Erhöhung oder Herabsetzung des Zinsfußes der in geschlossenen Anleihen bestehenden Staatsschulden, sowie die Schuldentilgung sind Gegenstände der Gesetzgebung für die Landtage jedes Herzogthums.
Innerhalb der Grenzen der nach den Voranschlägen der Staatskassen zu verzinsenden oder im Laufe der Finanzperiode mit den Landtagen festgestellten schwebenden Schuld, oder des von Letzteren in einzelnen Fällen bewilligten besonderen Credits kann ein Wechsel in der Person der Gläubiger jederzeit Statt finden, und es werden die desfallsigen Cassengeschäfte nicht als neue Anleihen betrachtet.
Ausnahmsweise ist die Staatsregierung zu neuen Anleihen auch ohne Zustimmung der Landtage, jedoch nur im Einverständniß mit dem Landtagsausschusse des betreffenden Herzogthums, dann berechtigt, wenn Nothwendigkeit und Dringlichkeit vorhanden ist und durch die Aufnahme der Anleihe ein der Staatskasse drohender unabweisbarer Verlust vermieden wird.
§ 119. Der Voranschlag des Staatshaushalts sowohl, als die Feststellung der Gehaltsvoranschläge in den verschiedenen Verwaltungszweigen als Richtschnur für künftige Ämterbesetzungen, sind Gesetzgebungsgegenstände. Der Voranschlag wird im Voraus auf regelmäßige, in beiden Herzogthümern gleichzeitig beginnende Zeitabschnitte (Finanzperioden) von vier zu vier Jahren nach sämmtlichen Einnahmen und Ausgaben des Staats für jedes der beiden Herzogthümer mit dem betreffenden Landtage (cf. jedoch § 120) festgestellt.
Er enthält die auf diese Zeit beschränkte Bewilligung aller Steuern und Abgaben (cf. jedoch § 126).
Erfolgt die Feststellung ausnahmsweise auf kürzere Frist, so ist die nächste Feststellung nur auf den noch übrigen Theil der Finanzperiode zu richten.
Dasselbe gilt auch in dem § 126 erwähnten Falle.
§ 120. Bezüglich der gemeinsamen Angelegenheiten (§§ 71, 72) erfolgt die Feststellung der betreffenden Etatspositionen mit dem gemeinschaftlichen Landtage. Die von demselben innerhalb seiner Competenz verwilligten Geldmittel haben die Landtage der beiden Herzogthümer nach Höhe von 3/10 für Coburg und nach Höhe von 7/10 für Gotha, gleich den von ihnen verwilligten Beträgen in ihre Staatsausgaben-Etats einzustellen, und beziehungsweise durch entsprechende Einnahme-Verwilligungen gehörig zu decken.
Dem gemeinschaftlichen Landtage, bezüglich dessen Ausschusse, steht die Controlle über die Einhaltung der mit ihm festgestellten Etatspositionen zu.
§ 121. Auf den Grund des Voranschlags eines jeden Herzogthums wird in demselben das Abgabengesetz erlassen (cf. jedoch § 126).
§ 122. Den Landtagen, beziehungsweise den Landtags-Ausschüssen sind von Jahr zu Jahr die Final-Rechnungs-Abschlüsse der Staatskassen, und, wenn die abgeschlossenen Jahresrechnungen revidirt und festgestellt sind, auch diese nebst den Belegen zur Beurtheilung der Einhaltung der Voranschläge mitzutheilen.
Zuerst werden die Final-Rechnungs-Abschlüsse beziehungsweise die Jahresabschlüsse der Staatscassen in Coburg und Gotha dem gemeinschaftlichen Landtag bezüglich dessen Ausschusse vorgelegt. Dessen Cognition beschränkt sich auf diejenigen Etatstitel, welche mit dem gemeinschaftlichen Landtag festgestellt worden sind, und die darauf verrechneten Posten.
Sodann erfolgt die Mittheilung der Final-Rechnungs-Abschlüsse beziehungsweise Jahresrechnungen an den betreffenden Landtag jedes Herzogthums, bezüglich dessen Ausschuß, von welchem die auf die übrigen Etatstitel verrechneten Posten im Vergleich zu den etatisirten Beträgen geprüft werden.
Die Bestimmungen wegen Abrechnung der Staatskassen in Coburg und Gotha unter einander, Aufbewahrung der gemeinschaftlichen Belege und die das gemeinschaftliche Rechnungswesen regelnden Formen überhaupt, werden von der Staatsregierung auf dem Verordnungswege getroffen.
§ 123. Über die Einnahme-Überschüsse der Staatskassen darf nur mit Zustimmung des betreffenden Landtags verfügt werden.
Die Bestände aus Vorjahren werden zu den Einnahme-Überschüssen gerechnet. Als eine Verfügung über dieselben ist aber nicht zu betrachten, wenn in den Vorjahren verwirkte etatsmäßige, aber in Rest gebliebene Ausgaben auf Bestände verrechnet werden. Wird durch eine solche Verrechnung eine Überschreitung der betreffenden Etatsposition des betreffenden Vorjahrs herbeigeführt, so findet der § 124 Anwendung.
§ 124. Überschreitungen des Voranschlags bedürfen der nachträglichen Genehmigung des betreffenden Landtags oder Landtagsausschusses. Diese Genehmigung kann im Falle des Beweises der Nothwendigkeit und Dringlichkeit nicht versagt werden.
§ 125. Wenn mit dem gemeinschaftlichen landtage über die für die folgende Finanz- oder Etatsperiode proponirten Etatsausgabesätze eine Einigung nicht zu ermöglichen ist und die vorhergehende Finanz- oder Etatsperiode zu Ende geht, so sind die bisherigen Etats-Ausgabesätze als auf ein Jahr verlängert zu betrachten.
§ 126. Wenn mit dem Landtage eines der Herzogthümer über einen für die folgende Finanz- oder Etatsperiode vorgelegten Voranschlag für die Staatskasse eine Einigung bezüglich der von ihm ressortirenden Einnahme- und Ausgabesätze nicht zu ermöglichen ist, und die vorhergehende Finanz- oder Etatsperiode zu Ende geht, so sind
die bisherigen betreffenden Einnahme- und Ausgabesätze und das bis dahin gültige Abgabengesetz als auf ein Jahr verlängert anzusehen.
Ist jedoch in einem solchen Falle mit dem gemeinschaftlichen Landtage eine neue Vereinbarung innerhalb seiner Competenz getroffen worden, so ist der in Folge dieser Vereinbarung etwa erforderliche Mehrbedarf aus den Beständen zu decken, sofern der Landtag nicht vorziehen sollte, den Ausfall durch eine Steuerverwilligung oder sonst anderweit aufzubringen.
§ 127. Die Landtage sind nicht befugt, ihre Verwilligungen an Bedingungen zu knüpfen, welche den Zweck und die Verwendung derselben nicht selbst betreffen.
§ 128. Der Herzog übt in verfassungsmäßiger Form die vollziehende Gewalt aus, trifft die zur Ausführung der Gesetze nöthigen Anordnungen, ernennt alle Staatsbeamten, leitet und überwacht die gesammte Landesverwaltung und schließt Verträge mit anderen Staaten ab; er übt das Recht der Ertheilung von Auszeichnungen und Würden und der Dispensationen, soweit diese Befugniß nicht durch besondere gesetzliche Bestimmungen beschränkt ist.
Zur gültigen Abschließung der Verträge mit anderen Staaten gehört die Zustimmung des betreffenden Landtags dann, wenn dadurch dem Staate oder Einzelnen neue Lasten aufgelegt oder Gesetze gegeben, abgeändert oder aufgehoben werden. Solche Verträge sind als Gesetz zu veröffentlichen
§ 129. Der Herzog bewilligt Gnadengehalte, Geschenke und Erlasse auf Kosten der Staatskasse nur innerhalb der etatsmäßigen Grenzen.
§ 130. Nur in dem Falle, wenn die Aufrechthaltung der öffentlichen Sicherheit oder die Beseitigung eines ungewöhnlichen Nothstandes es dringend erfordert, können, insofern der betreffende Landtag nicht versammelt ist, Verordnungen, die der Verfassung nicht zuwider laufen, unter dem ausdrücklich bei der Verkündigung auszusprechenden Vorbehalt der nachträglichen Zustimmung des betreffenden Landtags, mit Gesetzeskraft erlassen werden. Dieselben sind aber dem betreffenden Landtag alsbald bei dessen nächsten Zusammentritt, unter Nachweisung der Dringlichkeit und Zweckmäßigkeit derselben, zur nachträglichen Erklärung seiner Zustimmung vorzulegen.
Erfolgt diese Zustimmung nicht, so tritt die Verordnung sofort wieder außer Kraft.
§ 131. Im Falle eines Krieges oder Aufruhrs können die gesetzlichen Bestimmungen über Verhaftung, Haussuchung und Versammlungsrecht mit Zustimmung des betreffenden Landtags oder Landtagsausschusses zeitweise außer Kraft gesetzt werden. Es ist jedoch in dem letzteren Falle der betreffende Landtag innerhalb 14 Tagen einzuberufen und ihm die getroffene Maaßregel zur Genehmigung vorzulegen.
§ 132. Die Landtage sind, ein jeder innerhalb seiner Competenz, berechtigt: 1) wegen Verfassungsverletzungen Seitens der Staatsdiener Anklage zu erheben; 2) der Staatsregierung über etwaige Regelwidrigkeiten, Gebrechen oder Mißbräuche der Staatsverwaltung und Rechtspflege Anzeige und Vorstellung zu machen. 3) in allen Fällen, wo ihnen zur Ausübung ihrer verfassungsmäßigen Wirksamkeit die Ermittelung und Aufklärung thatsächlicher Verhältnisse wünschenswerth oder nothwendig erscheint, diese von der Staatsregierung zu verlangen; 4) derselben ihre Wünsche und Anliegen in Bezug auf die Beförderung der Landeswohlfahrt oder auf die Verbesserung der Gesetzgebung vorzutragen, unbeschadet der Rechte der Landtage in Bezug auf die Gesetzgebung.
§ 133. Die Landtage sind ferner, ein jeder innerhalb seiner Competenz, berechtigt, von Privatpersonen Beschwerden über etwaige, durch Regierungsverfügungen ihnen widerfahrene Beeinträchtigungen anzunehmen, auch bei der Staatsregierung sich für die Erledigung solcher Beschwerden zu verwenden, wenn 1) diese Beschwerden schriftlich angebracht werden, 2) dieselben zuvor den Weg der gesetzlichen Berufung bis an die oberste Staatsbehörde gegangen sind.
§ 134. Die richterliche Gewalt wird im Namen des Herzogs und unter dessen Oberaufsicht, und zwar injsoweit nicht für besonderen Fälle die Gesetze eine Ausnahme bestimmen, durch die Gerichtshöfe und richterliche Beamte ausgeübt.
§ 135. Die Richter sind unabhängig und keiner anderen Autorität als der des Gesetzes unterworfen.
Kabinetsjustiz ist unstatthaft.
§ 136. Es sollen keine Patrimonialgerichte bestehen.
§ 137. Die Rechtspflege ist von der Verwaltung zu trennen. Ausnahmen werden durch Gesetz bestimmt.
§ 138. Der privilegirte Gerichtsstand der Personen und Güter - mit Ausnahme der Militärgerichtsbarkeit - ist aufzuheben.
Der Gerichtsstand der Mitglieder des Herzoglichen Hauses wird durch ein besonderes Gesetz geregelt.
§ 139. In Strafsachen soll das Verfahren in der Regel öffentlich und mündlich sein und der Anklageprozeß eingeführt werden.
In schwereren Straffällen sollen Schwurgerichte urtheilen. Diese Fälle werden durch Gesetz bestimmt.
§ 140. Dem Herzog steht zu, erkannte Strafen aufzuheben oder zu mildern, auch das Verfahren gegen den Beschuldigten, noch ehe das Verbrechen oder Vergehen
untersucht oder über die Bestrafung erkannt worden ist, niederschlagen und einstellen zu lassen (cf. jedoch § 176).
§ 141. Die Grenzen der polizeilichen Strafgewalt werden durch Gesetz bestimmt.
§ 142. Über Competenzconflicte zwischen Verwaltungsbehörden und Gerichtsbehörden entscheidet eine besondere Commission.
Diese Commission wird gebildet aus dem dirigirenden Staatsminister, als Vorsitzendem, und 5 höheren Staatsbeamten, von denen 2 von dem Herzog und 3 von dem gemeinschaftlichen Landtag ernannt werden.
Abschnitt VIII. Von der Wahl der Abgeordneten zu den Landtagen der beiden Herzogthümer.
§ 143. Die Wahlen der Abgeordneten zu den Landtagen beider Herzogthümer erfolgen durch Wahlmänner.
§ 144. Die Wahlmänner werden von den wahlberechtigten Urwählern aus ihrer Mitte gewählt.
§ 145. Zum Zwecke der Erwählung der Wahlmänner wird das Herzogthum Coburg in 11, das Herzogthum Gotha in 19 Wahlbezirke eingetheilt. Das Nähere hierüber bestimmt die Wahlordnung (Beil. I).
§ 146. Wahlberechtigt ist jeder selbstständige unbescholtene männliche Staatsbürger, welcher das 25. Lebensjahr zurückgelegt und seit Anfang des dem Ausschreiben der Wahl vorausgegangenen Jahres eine directe Staatssteuer zu entrichten gehabt hat und sich damit bei Aufstellung der Wahlliste nicht auf ein Jahr in Rückstand befindet.
§ 147. Als unselbstständig sind von der Wahl ausgeschlossen die in § 27 erwähnten Personen.
§ 148. Als beschlossen sind von der Berechtigung zum Wählen ausgeschlossen: Diejenigen, welche wegen eines nach gesetzlichen Vorschriften oder allgemeiner Annahme zufolge als entehrend zu betrachtenden Vergehens oder Verbrechens gerichtlich vollzugskräftig verurtheilt worden sind, in jedem Falle aber Diejenigen, welche wegen eines gemeinen Vergehens oder Verbrechens zur Zuchthausstrafe vollzugskräftig verurtheilt worden sind. Es lebt jedoch die Wahlberechtigung derselben wieder auf, wenn seit Verbüßung der richterlich erkannten oder durch Begnadigung herabgesetzten Strafe oder, wo letztere ganz erlassen worden ist, seit dem Erlassen derselben ein zehnjähriger Zeitraum verflossen ist.
§ 149. Der Verlust des Wahlrechts auf den Zeitraum von 4 bis 10 Jahren soll, unbeschadet der sonst verwirkten Strafe, ausdrückliche durch strafgerichtliches
Erkenntiß gegen diejenigen Personen ausgesprochen werden, welche die Wahlen Stimmen verkauft, Stimmen für sich oder Andere erkauft oder mehr als einmal bei der für einen und denselben Zweck bestimmten Wahl ihre Stimmen abgegeben oder überhaupt zur Einwirkung auf die Wahl gesetzlich unerlaubte Mittel angewendet haben.
Namentlich sind des Wahlrechts auf einen Zeitraum von 4 bis 10 Jahren Diejenigen verlustig zu erklären, welche durch Drohungen mit Arbeitsentziehung, durch Versprechen, deren Erfüllung die Herbeiführung eines ungesetzlichen Zustandes voraussetzt,m auf die Wahlen einzuwirken versucht oder sich an sich unerlaubter Handlungen zu dem Zwecke schuldig gemacht haben, um in Beziehung auf das Ergebniß einer Wahl Rache gegen eine bestimmte Person auszuüben.
§ 150. Das Wahlrecht kann nur in Person ausgeübt werden.
§ 151. Das Wahlrecht wird von jedem wahlberechtigten Staatsbürger nur in demjenigen Wahlbezirke ausgeübt, in welchem derselbe seinen Wohnsitz hat.
§ 152. Die Wahlmänner eines jeden Wahlbezirks wählen Einen Abgeordneten.
§ 153. Jeder Wahlberechtigte (cf. § 146 ff.), der das 30ste Jahr zurückgelegt hat, ist als Abgeordneter wählbar. Jedoch ist der den Wahltermin leitende Beamte nebst dem Protokollführer in dem betreffenden Wahlbezirke nicht wählbar (cf. auch § 3 der Geschäftsordnung Beil. II).
§ 154. Personen, welche sich im unmittelbaren Civilstaatsdienste befinden, haben, wenn sie als Abgeordnete gewählt werden, die Annahme der Wahl ihrer vorgesetzten Behörde anzuzeigen, damit wegen der einstweiligen Verwaltung ihres Amtes Fürsorge getroffen werden kann. Im activen Militärdienst befindliche Personen bedürfen Urlaub von ihrer vorgesetzten Behörde für den Eintritt in einen Landtag. Ein denselben einmal ertheilter Urlaub kann ohne Genehmigung des betreffenden Landtags nicht zurückgenommen werden.
§ 155. Die näheren Bestimmungen über das Wahlverfahren enthält die Wahlordnung (Beil. I).
Abschnitt IX. Von der Gewähr der Verfassung.
§ 156. An dem Staatsgrundgesetze und den als integrirende Bestandtheile desselben bezeichneten Bestimmungen darf nur im Wege des Gesetzes Etwas geändert werden, (cf. § 112).
§ 157. Vor Ausübung der verfassungsmäßigen Regierungsrechte hat der Herzog, eintretenden Falles auch der Statthalter und der Regierungsverweser, in einer schriftlichen Urkunde folgende eidliche Zusicherung zu ertheilen:
"Ich schwöre, daß ich die Verfassung der Herzogthümer Coburg und Gotha stets gewissenhaft beobachten und kräftig schützen will. So wahr mir Gott helfe !
Das Original der Urkunde wird an das Archiv des gemeinschaftlichen Landtags abgegeben. Eine beglaubigte Abschrift desselben wird in dem Staatsarchiv niedergelegt.
§ 158. Wenn der Herzog stirbt, auch wenn die Regierung des Statthalters oder des Regierungsverwesers sich erledigt, tritt der gemeinschaftliche Landtag, Falls derselbe nicht gerade einberufen ist, frühestens am 4ten Tage darauf, ohne Berufung zu Gotha zusammen, um den von Seiten des Regierungsnachfolgers, des Statthalters oder des Regierungsverwesers zu leistenden verfassungsmäßigen Eid entgegen zu nehmen.
Ereignet sich ein solcher Fall gerade zu der Zeit, wo die Vollmacht des zuletzt einberufenen gemeinschaftlichen Landtags erloschen und das sofortige Zusammenberufen des neuen Landtags noch nicht zu ermöglichen ist, so treten die Mitglieder des zuletzt einberufen gewesenen gemeinschaftlichen Landtags zu jenem Zweck zusammen.
§ 159. Bevor die über das eidliche Angelöbniß auf die Verfassung ausgestellte Urkunde an den gemeinschaftlichen Landtag abgegeben worden ist, kann der Herzog, beziehendlich der Statthalter, oder der Regierungsverweser keine Regierungshandlungen vornehmen. In der Zwischenzeit gehen die nothwendigen Regierungshandlungen von dem Staatsministrium aus.
In welcher Form dieß geschehen soll, wird durch Gesetz bestimmt.
§ 160. Ferner tritt der gemeinschaftliche Landtag dann, wenn das Herzoglich Sachsen Ernestinische Haus aufhören sollte, über die Herzogthümer zu regieren, nach den Bestimmungen des § 158 sofort zusammen, um die Gesammt- und Sonderinteressen beider Herzogthumer, namentlich auch bezüglich des Staatsguts und des Cammer- und Domainenvermögens zu bewahren.
§ 161. Alle Staatsbeamten sind bei ihrer Anstellung auf den Inhalt des Staatsgrundgesetzes und dessen Festhaltung mit zu verpflichten.
§ 162. Alle Staatsbeamten sind für die Verfassungsmäßigkeit ihrer amtlichen Handlungen verantwortlich.
§ 163. Staatsbeamte, welche gegen die Bestimmungen des Staatsgrundgesetzes oder eines für einen integrirenden Theil der Verfassung erklärten Gesetzes handeln, machen sich des Vergehens der Verfassungsverletzung schuldig.
§ 164. Die Grade der Ahndung eines solchen Vorgehens bestimmen sich nach der Größe der bösen Absicht oder Schuld, nach der Größe und dem Umfang des zugeführten Schadens und den gesetzlichen Regeln der Zurechnung.
Die Ahndung selbst bestehen in Verweis, Suspension, Entfernung vom Amt mit oder ohne Pension, mit oder ohne Vorbehalt der Wiederanstellung im Staatsdienst, endlich in Dienstentsetzung.
§ 165. Jeder Landtag, innerhalb seiner Competenz, ist berechtigt, Staatsbeamte wegen Verletzung der Verfassung anzuklagen. Das gleiche Recht steht den Ausschüssen der Landtage zu (cf. § 97 und 132).
Die Vorsitzenden dieser Ausschüsse sind befugt, die Letzteren nach vorgängiger Anzeigeerstattung an das Staatsministerium, zum Zweck der Einleitung, beziehungsweise Erhebung einer Beschwerde oder Anklage zusammen zu berufen.
§ 166. Der Angeklagte kann sich von der Anklage durch den Nachweis befreien, daß er in Gemäßheit eines, in gehöriger Form an ihn ergangenen Befehls der competenten vorgesetzten Staatsbehörde gehandelt hat.
§ 167. Zur gehörigen Form für alle Verfügungen in Staatsangelegenheiten, welche der Herzog unterzeichnet oder welche in seinem Namen auf Specialbefehl erlassen worden, ist erforderlich, daß dieselben von einem Mitgliede des Staatsministeriums in der Reinschrift contrasignirt, beziehungsweise unterschrieben werden (cf. § 22).
§ 168. Dasjenige Mitglied des Staatsministeriums, welche die Reinschrift der Verfügung contrasignirt oder unterzeichnet, haftet für die Verfassungsmäßigkeit derselben, ohne Zulassung der Berufung auf einen Befehl des Herzogs.
§ 169. Die im § 165 erwähnte Anklage kann erst dann erhoben werden, wenn der betreffende Landtag oder Landtags-Ausschuß (§ 165) über die Verfassungsverletzung bei dem Herzog Beschwerde geführt hat und der Beschwerde, binnen einem Monat, von deren Eingabe an gerechnet, auf eine denselben zufriedenstellende Weise nicht abgeholfen ist.
§ 170. Die Anklage wird bei einem durch ein Gesetz zu bestellenden Staatsgerichtshof erhoben und von diesem entschieden.
§ 171. Bis dahin, wo durch Gesetz ein Staatsgerichtshof bestellt und das vor demselben stattfindende Verfahren bestimmt sein wird, vertritt das Oberappellationsgericht zu Jena dessen Stelle. Dieser Gerichtshof ist für den eintretenden Fall mit allen Rechten und Pflichten eines Untersuchungsrichters bekleidet, untersucht die Sache nach den Grundsätzen und Regeln des accusatorischen Prozesses und ertheilt nach beigebrachter oder versäumter Vertheidigung des Angeklagten das Erkenntniß.
Gegen dieses oberappellationsgerichtliche Erkenntniß kann nur das Rechtsmittel der Revision beim Oberappellationsgericht und auch dieses nur von dem Angeschuldigten und nur innerhalb dreißig Tagen, von der Publication an, eingewendet werden. Dem Revidenten ist gestattet, innerhalb sechs Wochen peremtorischer Frist, von der Einwendung des Rechtsmittels an, eine Deduction zu den Acten zu bringen, welche dem
Ankläger zur Beantwortung binnen gleicher, vom Tage der Insinuation zu berechnender sechswöchentlicher Frist mitzutheilen ist. Nach Eingang der Schriften oder Versäumniß derselben durch Ablauf der Frist, ertheilt das Oberappellationsgericht das zweite und letzte Erkenntniß, wofür ein neuer Referent und Correferent ernannt, von jedem eine schriftliche Relation, ohne daß der Eine die des Anderen zu sehen bekommt, ausgearbeitet und sodann außerhalb der Session von jedem Mitgliede schriftlich abgestimmt wird.
Das Oberappellationsgericht eröffnet die von ihm ertheilten Erkenntnisse mit den Gründen sowohl dem Angeklagten als auch dem anklagenden Landtage, beziehungsweise dem Ausschusse desselben, und sendet gleichzeitig beglaubigte Abschrift derselben an den Herzog ein.
Das Oberappellationsgericht veröffentlicht jedes Erkenntniß innerhalb vier Wochen, von dessen Eröffnung an gerechnet, mit den Gründen, auf Staatskosten durch den Druck.
§ 172. Das Erkenntniß hat zunächst auszusprechen, ob der Angeklagte gegen die Verfassung gehandelt hat, dann über Strafe und Kosten zu entscheiden.
§ 173. betrifft die Anklage die Übertretung einer Bestimmung, deren Fassung unklar ist, und findet der Gerichtshof, daß die von dem Angeklagten gemachte Auslegung zwar nicht die richtige gewesen, der Angeklagte aber gute Gründe gehabt hat, sie dafür zu halten, so hat der Gerichtshof zwar auszusprechen, daß der Angeklagte gegen die Verfassung verstoßen habe, denselben jedoch von der Strafe und Kosten freizusprechen.
§ 174. In der im § 173 gedachten Weise ist auch zu erkennen, wenn der Angeklagte noch nachweist, daß die der Anklage unterstellte Verfügung auf die im § 171 erwähnte Beschwerde innerhalb der dort gesetzten einmonatlichen Frist zurückgenommen und durch diese Zurücknahme, beziehungsweise gleichzeitig erfolgende Entschädigung, die vorige Sachlage wieder hergestellt worden ist.
Würde jedoch die auf die Beschwerde des betreffenden Landtags oder Landtagsausschusses zurückgenommene verfassungsverletzende Verfügung wiederholt, so findet vorstehende Bestimmung auf die in solchem Falle zu erhebende Anklage keine Anwendung.
§ 175. Durch die Anklage wegen Verfassungsverletzung und das darauf gegründete Verfahren, wird die Verfolgung etwa concurrirender gemeiner oder Dienstvergehen durch die ordentliche Criminalbehörde, nicht ausgeschlossen.
§ 176. Eine Abolition hinsichtlich der Verfassungsverletzung findet nicht Statt.
Der Herzog wird hinsichtlich der wegen Verfassungsverletzung erkannten Strafen (§ 164) ohne Zustimmung des betreffenden Landtags oder Landtagsausschusses keine Begnadigung ertheilen.
§ 177. Die Vollziehung der von dem Gerichtshofe wegen Verfassungsverletzung ertheilten Erkenntnisse geschieht auf Anordnung des Herzogs, unmittelbar nach dem Eintritt der Rechtskraft.
Urkundlich unter Unserer eigenhändigen Unterschrift und dem vorgedruckten Herzoglichen Siegel.
Gotha, den 3. Mai 1852.
Ernst, H. z. S. C. u. G.
v. Seebach.
Beilage I. zum Staatsgrundgesetz.
Wahlordnung für die Landtage der Herzogthümer Coburg und Gotha.
§ 1. Das Herzogthum Gotha zerfällt in 11, das Herzogthum Gotha in 19 Wahlbezirke. (cf. § 145 des Staatsgrundgesetzes) Sowohl für die Abgränzung dieser Wahlbezirke, als auch für die Zusammenlegung mehrerer Orte zu Einem Urwahlbezirke zu wähenden Wahlmänner sind die Beilagen A und B maaßgebend. Die Abgränzung der Stadt Gotha in 4 Wahlbezirke bleibt dem dasigen Stadtrathe überlassen.
§ 2. Die Bewohner derjenigen für sich gelegenen Güter und Besitzungen, welche in den Beilagen A und B nicht erwähnt sind, wählen mit denjenigen Gemeinden, mit welchen sie einem und demselben Pfarrbezirke angehören.
§ 3. Die Wahlen für den Landtag erfolgen in jedem Herzogthum auf Anordnung der Staatsregierung und unter Aufsicht der oberen Verwaltungsbehörde. Die Wahlmännerwahlen leiten die Gemeindebehörden der Urwahlbezirke.
Bei Vereinigung mehrerer Gemeinden zu einem Urwahlbezirke leiten deren Vorstände die Wahl gemeinschaftlich, unter Vorsitz des der größten Gemeinde angehörigen Vorstandes.
Die Abgeordneten-Wahlen leiten Beauftragte der oberen Verwaltungsbehörde, deren Namen durch das Regierungsblatt bekannt gemacht werden.
§ 4. Die Wahltermine müssen den Urwählern und Wahlmännern mindestens acht Tage vor dem Wahltermin unter Angabe des Orts der Wahlversammlung gehörig bekannt gemacht werden.
Das Ausschreiben der Wahl im Regierungsblatt und durch Anschlag an die Gemeindetafel vierzehn Tage vor dem Wahltermin gilt als eine gehörige Bekanntmachung des Wahltermins.
§ 5. Die Urwahlen ländlicher Gemeinden werden in einer dazu geeigneten Räumlichkeit des Dorfes, bei Vereinigung mehrerer Ortschaften zu einem Urwahlbezirke, des größten Dorfes dieses Bezirks vorgenommen, in den Städten in den dasigen Rathhäusern.
§ 6. Der Ort, wo die Wahl der Abgeordneten vorzunehmen ist, wird von dem mit der Leitung der Wahl beauftragten Beamten nach Gründen der Zweckmäßigkeit bestimmt.
§ 7. Außer der wahlleitenden Behörde und den Stimmberechtigten hat Niemand in der Räumlichkeit, wo die Wahl vorgenommen wird, Zutritt.
§ 8. Die Urwahlen sind auf Grund von Wahllisten zu bewirken.
§ 9. Die Wahllisten werden von der Ortswahlbehörde gefertigt.
§ 10. In jeder Gemeinde besteht eine Ortswahlbehörde. In den Städten wird dieselbe aus einem Senator beziehendlich Magistratsrath und aus noch vier anderen, vom Stadtverordneten-Collegium aus seiner Mitte zu erwählenden stimmführenden Mitgliedern und einem Protokollführer gebildet. In den Landgemeinden ist diese Wahlbehörde aus dem Schultheißen und aus drei Gemeindemitgliedern, die vom Ortsvorstande (Gemeinde-Ausschusse) durch Wahl nach Stimmenmehrheit dazu bestimmt werden, sowie dem Gemeindeschreiber als Protokollführer, zusammenzusetzen. Die Gemeinden, welche nicht mindestens zehn wahlberechtigte Einwohner zählen, sowie die Bewohner der § 2 genannten Güter und Besitzungen werden von der oberen Verwaltungsbehörde der Ortswahlbehörde einer der zunächst gelegenen Gemeinden zugewiesen.
§ 11. Die aufgestellte Wahlliste ist von demjenigen Beamten, welchem die Führung der Personenstandesregister obliegt, in Beziehung auf das Lebensalter, ingleichen von dem betreffenden Orts-Steuer-Einnehmer zu beglaubigen beziehungsweise zu vervollständigen, sodann aber in den Landorten vor versammelter Gemeinde zu verlesen und acht Tage lang, in den Städten auf dem Rathhause, in den Landorten bei dem Ortsschultheißen, zur Einsicht aller männlichen Ortsangehörigen, welche das 25stel Lebensjahr zurückgelegt haben, aufzulegen. Daß solches geschehen, ist in ortsüblicher Weise bekannt zu machen.
§ 12. Während der Auslegung der Wahllisten hat jeder dem Alter nach wahlberechtigte Ortsangehörige das Recht, Berichtigungen der Liste bei dem Magistrat oder Stadtrathe beziehungsweise bei dem Ortsvorstande zu beantragen. Nach Ablauf der für die Auslegung bestimmten achttägigen Frist werden die Wahllisten geschlossen. Einsprachen, welche nach diesem Termine erfolgen, sind als verspätet zurückzuweisen.
§ 13. Über den Grund oder Ungrund der auf die Aufnahme von Wahlunfähigen oder auf die Auslassung von Wahlberechtigten gestützten Einsprachen entscheidet in den Städten der Magistrat beziehendlich Stadtrath, in den Landgemeinden der gesammte Ortsvorstand nach absoluter Stimmenmehrheit. Eine Berufung gegen diese Entscheidung findet nicht Statt; es ist jedoch auch diese Entscheidung nur für den einzelnen Fall gültig.
§ 14. Die geschlossenen Wahllisten sind von den Ortswahlbehörden mit einem Zeugnisse darüber zu versehen, daß und an welchem Tage dieselben verlesen worden, sowie daß und an welchem Tage dieselben öffentlich ausgelegt gewesen sind.
§ 15. Sofort nach dem Schlusse der Wahllisten ist der Wahltermin anzusetzen und bekannt zu machen.
§ 16. Die Wahlhandlung beginnt zur festgesetzten Stunde, ohne Rücksicht darauf, wie viel Wähler sich eingefunden haben.
§ 17. Wenn die Räumlichkeit, in welcher die Wahlhandlung vorgenommen werden soll, nicht groß genug ist, um sämmtliche Wähler auf einmal aufzunehmen, so sind dieselben nach einander in angemessener Anzahl einzulassen.
§ 18. Die Wahlen erfolgen mittelst Abstimmung durch Stimmzettel.
§ 19. Jedem der anwesenden Wähler wird, wenn seine Wahlberechtigung unbestritten ist, ein auf der Rückseite gestempelter und mit der forlaufenden Nummer versehener Stimmzettel eingehändigt, in welchen er den Namen des von ihm zum Wahlmann Erwählten deutlich und mit hinreichender Bezeichnung der Person alsbald im Wahlzimmer selbst einzutragen hat. Hierauf gibt er den Stimmzettel der Wahlbehörde zurück, welche letzteren, nachdem sie sich von dem Vorhandensein des Stempels überzeugt hat, in die vor ihr stehendes Gefäß niederlegt. Jedem Wahlberechtigten bleibt es übrigens nachgelassen, unter Rückgabe des empfangenen Stimmzettels seine Stimme mündlich zu Protokoll zu geben.
§ 20. Der Name des einzelnen Wählers wird, wenn letzterer den empfangenen Stimmzettel zurückgegeben hat, im Protokoll, welches ein Mitglied der Ortswahlbehörde aufzunehmen hat, aufgeführt und in der Wahlliste vorgestrichen.
§ 21. Wenn mindestens 3 Stunden nach der bekannt gemachten Anfangszeit der Wahlhandlung verflossen sind, sodann aber auf Anfrage Niemand mehr zur Stimmgebung sich meldet, so ist die Verhandlung von der Wahlbehörde für geschlossen zu erklären und weiter keine Stimmgebung zulässig.
§ 22. Hierauf werden die Stimmzettel auf den Tisch ausgeschüttet und, wenn ihre Zahl mit der Zahl der Wähler übereinstimmt, geöffnet, worauf der laut verlesene Inhalt eines jeden Zettels alsbald in der Weise zu Protokoll genommen wird, daß der Protokollist bei dem Vorgeschlagenen die Nummern der auf denselben lautenden Stimmzettel anmerkt.
Stimmzettel, welche unleserlich geschrieben sind, oder die Person des Vorgeschlagenen nicht hinlänglich bezeichnen, werden zwar gezählt, aber ihrem Inhalte nach nicht berücksichtigt, es sei denn, daß auf Erfordern der als Schreiber eines solchen Zettels sich Meldende und sofort Ausweisende durch mündliche Erklärung zu Protokoll diesen Mangel beseitigt. Abänderungen der bereits zurückgegebenen Stimmzettel sind unzulässig.
§ 23. Eine Abweichung der Zahl der Stimmzettel von der Zahl der Wählenden (cf. § 20) macht eine Wiederholung der Abstimmung blos dann nöthig, wenn die Mehrheit der anwesenden Wähler es verlangt.
§ 24. Sind von denselben Urwählern mehrere Wahlmänner zu wählen, so erfolgt die Wahl derselben gleichzeitig mittelst eines und desselben Stimmzettels.
§ 25. Die Wahl erfolgt nach relativer Stimmenmehrheit. Bei Stimmengleichheit entscheidet das Loos.
§ 26. Die Wahlversammlung darf die abgegebenen Stimmzettel durch drei Wahlberechtigte einsehen lassen.
§ 27. Die ganze Verhandlung, einschließlich der Verlesung des Protokolls, wird in Gegenwart der anwesenden Wähler vorgenommen, auch ist denselben das Ergebniß alsbald bekannt zu machen.
Sobald etwaige Ausstellungen am Protokolle beseitigt worden sind, werden die Wahlzettel, mit Ausnahme der beanstandeten, im Beisein der zurückgebliebenen Wähler vernichtet.
§ 28. Keinem Wahlmanne ist gestattet, die auf ihn gefallene Wahl abzulehnen. Ergänzungswahlen für Wahlmänner finden nicht Statt.
§ 29. Das Ergebniß der Wahl ist von der Ortswahlbehörde sofort dem mit der Leitung der Abgeordneten-Wahl beauftragten Beamten anzuzeigen. Von dem Letzteren ist nach erfolgter Wahl sämmtlicher Wahlmänner seines Bezirks der Termin für die Abgeordneten-Wahl alsbald bekannt zu machen.
§ 30. Der die Wahl leitende Beamte wird vom Anfange bis zur Beendigung der Wahlhandlung von einer Commission, welche in den Städten Coburg, Gotha, Ohrdruf und Waltershausen aus den sämmtlichen Mitgliedern der Ortswahlbehörde, in den übrigen Wahlbezirken aber mindestens aus je einem Mitgliede der verschiedenen Ortswahlbehörden gebildet wird, hauptsächlich zu dem Zwecke unterstützt, um vorkommenden Falles außer Zweifel zu setzen, daß die Erschienenen die wirklich gewählten Wahlmänner sind, und um sonstige Auskunft zu ertheilen.
§ 31. Die §§ 18, 19, 20, 22, 23, 26 und 27 getroffenen Bestimmungen leiden auch auf die Abgeordneten-Wahl Anwendung; jedoch ist bei dieser das Protokoll von einem verpflichteten Protokollführer aufzunehmen.
§ 32. Zur Vornahme der Wahl ist die Theilnahme von wenigstens zwei Drittheilen der Wahlmänner wesentliches Erforderniß.
Wenn weniger als zwei Drittheile der Gesammtzahl der Wahlmänner erschienen sind, so wird auf Kosten derjenigen, welche ohne ausreichende Gründe - worüber der Wahlbehörde die Entscheidung zusteht - ausgeblieben sind, ein neuer Wahltermin anberaumt. In diesem erfolgt die Whl dann ohne Rücksicht auf die Zahl der erschienenen Wahlmänner.
§ 33. Derjenige ist als zum Abgeordneten gewählt zu betrachten, welche mehr als die Hälfte der abgegebenen Stimmen erhalten hat.
Hat sich bei der ersten Abstimmung eine solche Stimmenmehrheit nicht ergeben, so wird eine anderweite, engre Wahl unter denjenigen Personen vorgenommen, welche die meisten und zwar zusammen so viel Stimmen haben, daß die Zahl der letzteren sich auf mehr als die Hälfte der sämmtlichen abgegebenen Stimmen beläuft.
Wenn wegen Stimmengleichheit unter mehreren Vorgeschlagenen nicht zu entscheiden ist, wer von ihnen auf die engere Wahl zu bringen ist, so sind die Betreffenden sämmtlich zur engeren Wahl zu bringen.
Ergibt sich auch bei dieser Wahl keine absolute Stimmenmehrheit, so werden nunmehr die beiden Personen, welche die meisten Stimmen erhalten haben, und - wenn hierbei Mehrere mit gleicher Stimmenzahl concurriren - die auch das Loos dazu Bestimmten auf eine engere Wahl gebracht.
Bei der dann ergebenden Stimmengleichheit entscheidet das Loos.
Niemand ist zur Stimmgebung bei einer engeren Wahl zugelassen, der nicht bei der vorangegangenen Wahl mit gestimmt hat.
§ 34. Der der Wahlhandlung beiwohnende Commission stehet das Recht zu, die Stimmzettel sofort, nachdem deren Inhalt von dem mit der Leitung der Wahl beauftragten Beamten verlesen worden ist, einzusehen und etwaiger Erinnerungen zu Protokoll zu geben. Ingleichen ist bei der Erörterung über dioe Gülitigkeit undeutlicher oder unleserlicher Stimmzettel diese Commission beizuziehen.
§ 35. Bei dem Eintritt von Umständen, welche den Anfang, Fortgang oder die Beendigung der Wahl verhindern, ist mit Zustimmung der anwesenden Wahlcommissions-Mitglieder der Wahltermin auf einen der nächstfolgenden Tage zu verlegen, beziehungsweise aufzuschieben.
Dieser anderweite Wahltermin ist den Wahlmännern mit Bestimmung des Wahlortes gehörig bekannt zu machen.
§ 36. Die Bekanntmachung des Resultats der Wahl ist an den zum Abgeordneten Erwählten binnen 24 Stunden zu erlassen. Derselbe hat sich binnen 8 Tagen, vom
Empfange der obigen Bekanntmachung an, über die Annahme oder Nichtannahme der Wahl zu erklären, widrigenfalls die Wahl als angenommen anzusehen ist.
§ 37. Erfolgt die Ablehnung einer Wahl noch im Wahltermin selbst, so kann nach Befinden und mit Zustimmung der Mehrheit der Wahlversammlung die anderweite Wahlhandlung sofort vorgenommen werden.
Wird die Wahl später abgelehnt, so ist von dem die Wahl leitenden Beamten ein anderweiter Wahltermin, auf spätestens 14 Tage hinaus, anzuberaumen und dabei in derselben Weise wie bei der ersten Wahl zu verfahren.
Sowohl in diesem Falle als bei etwaigen Ergänzungswahlen wird die Wahl von den früheren Wahlmännern (cf. § 28) vorgenommen).
Wenn jedoch seit Schluß der Wahllisten 2 Jahre abgelaufen sind, so müssen für etwaige Ergänzungswahlen neue Wahllisten aufgestellt und neue Wahlmänner auf Grund derselben gewählt werden.
§ 38. Die mit der Leitung der Wahlhandlung beauftragten Beamten haben die Erhaltung der Ruhe und Ordnung dabei wahrzunehmen.
In die Wahl selbst darf keine Behörde, besonders nicht diejenige, welche mit der Leitung des Wahlgeschäfts beauftragt ist, durch Empfehlung oder Vorschlag einer bestimmten Person oder sonst sich einmischen. Die Übertretung dieses Verbotes wird als Amtsvergehen bestraft.
§ 39. Der die Wahl leitende Beamte, ingleichen die zum Wahlgeschäfte beigezogenen Hülfsbeamten erhalten bei Wahlgeschäften außerhalb des Amtssitzes lediglich die gesetzlichen Diäten und Reisegebühren und zwar aus Staatsmitteln.
§ 40. Nach Beendigung der Wahlen haben die Wahlcommissarien die Wahlacten an die obere Verwaltungsbehörde einzusenden, von welcher solche, wenn sie die Wahlen dem Gesetze gemäß befunden hat, dem staatsministerium zur weiteren verfassungsmäßigen Verfügung berichtlich vorzulegen.
Urkundlich unter Unserer eigenhändigen Unterschrift und dem vorgedruckten Herzoglichen Siegel.
Gotha, den 3. Mai 1852.
Ernst, H. z. S. C. u. G.
v. Seebach.