Verfassung der freien und Hansestadt Hamburg
vom 28. September 1860
geändert durch
(faktisch) Verfassung des Norddeutschen Bundes,
gemäß Antrag des Senats vom 8. Mai 1867 und Mitgenehmigung durch die Bürgerschaft am 15. Mai 1867; in Kraft getreten am 1. Juli 1867 (GS. II. S. 24)
Gesetz vom 19. Februar 1869 (GS. V. S. 40)
aufgehoben durch
die Verfassung vom 13. Oktober 1879 (GS. XV. S. 353)
Erster Abschnitt.
Allgemeine Bestimmungen
Artikel 1
Die Stadt Hamburg und das damit verbundene Gebiet bilden, unter der Benennung "die freie und Hansestadt Hamburg", einen selbstständigen Einzelstaat Deutschlands, welcher als solcher Mitglied des Deutschen Bundes ist.
Eine Feststellung der Verhältnisse des Amtes Bergedorf bleibt vorbehalten.
Durch Antrag des Senats vom 8. Mai 1867 und Genehmigung der Bürgerschaft vom 15. Mai 1867 wurden faktisch an Stelle der Worte "Deutschen Bundes" die Worte "Norddeutschen Bundes" gesetzt. Gemäß Senatsmitteilung, die von der Bürgerschaft offensichtlich akzeptiert wurde, war die Verfassung des Norddeutschen Bundes keine Verfassungsänderung, weil Hamburg nach der Auflösung des Deutschen Bundes und Aufhebung der Bundesakte vom 9. Juni 1815 dann im Norddeutschen Bunde verblieben ist und dies als Fortführung der Mitgliedschaft gesehen wurde, auch wenn der Deutsche Bund als Staatenbund eine wesentlich andere Eigenschaft hatte als der Norddeutsche Bund als Bundesstaat. In vielen anderen Bundesstaaten des Norddeutschen Bundes wurde dies anders gesehen, doch hatten diese auch nicht das komplizierte Verfahren zur Verfassungsänderung.
Artikel 2
Jede Gebietsveräußerung gilt als eine Veränderung der Verfassung, abgesehen von bloßen Grenzregulirungen, welche auf dem Wege der Gesetzgebung (Art. 62) bewirkt werden können.
Artikel 3
Angehöriger des Hamburgischen Staates ist Jeder, welchem nach gesetzlicher Bestimmung das Heimathsrecht in demselben zusteht.
Artikel 4
Zu der Ausübung staatsbürgerlicher Rechte ist der Besitz des Stadt- oder Landbürgerrechts erforderlich. Es bleibt der Gesetzgebung vorbehalten dieselben auch anderen Staatsangehörigen beizulegen.
Artikel 5
Bei der Gewinnung des Stadt- oder Landbürgerrechts, oder jedes anderen durch die Gesetzgebung festzustellenden Bürgerrechtes, wird der Eid auf die Verfassung geleistet. Die Form dieses Eides bestimmt das Gesetz.
Artikel 6
Die höchste Staatsgewalt steht dem Senate und der Bürgerschaft gemeinschaftlich zu.
Die gesetzgebende Gewalt wird von Senat und Bürgerschaft,
die vollziehende vom Senat,
die richterliche von den Gerichten
ausgeübt.
Zweiter Abschnitt.
Der Senat
Artikel 7
Der Senat besteht aus achtzehn Mitgliedern, nämlich aus neun, welche die Rechts- oder Cameralwissenschaften studirt haben, und aus neun sonstigen Mitgliedern, von welchen Letzteren wenigstens sieben dem Kaufmannstande angehören müssen.
Artikel 8
Wählbar zum Senatsmitgliede ist, jedoch unter Berücksichtigung des Art. 7, jeder zur Bürgerschaft wählbare Bürger. Die im ersten Satz des Art. 36 enthaltenen Beschränkung kommt hier nicht in Betracht.
Ausgeschlossen von der Wahl ist Derjenige, welcher mit einem Mitgliede des Senates in auf- oder absteigender Linie oder als Bruder, Oheim oder Neffe verwandt, oder als Stiefvater, Stiefsohn, Schwiegervater, Schwiegersohn, Frauenbruder oder Schwestermann verschwägert ist.
Es macht in den Fällen der Schwägerschaft keinen Unterschied, ob die sie begründende Ehe noch fortdauert oder nicht.
Artikel 9
Die Wahl der Senatsmitglieder geschieht durch die Bürgerschaft aus einem Wahlaufsatze von zwei Personen.
Zur Herbeiführung dieses Aufsatzes werden vom Senat vier Seiner Mitglieder und von der Bürgerschaft vier ihrer Mitglieder mit relativer Stimmenmehrheit zu Vertrauensmännern erwählt und demnächst auf Verschwiegenheit beeidigt.
Die acht Vertrauensmänner haben einen Aufsatz von vier Personen in der folgenden Weise zu formiren.
Jeder Vertrauensmann bezeichnet die ihm geeignet erscheinenden Personen, und wird aus den so in Vorschlag Gebrachten, nach sorgfältiger Beredung über dieselben, zunächst ein größerer Aufsatz gebildet. Aus diesem sind durch geheime Abstimmung vier Personen auf den engeren Aufsatz zu bringen.
Die bürgerschaftlichen Vertrauensmänner können nicht auf den Aufsatz gebracht werden. Um auf den Aufsatz zu kommen, bedarf es wenigstens fünf Stimmen.
Ist dies für vier Candidaten auch durch wiederholte Abstimmung nicht zu erreichen, so wird dem Senat und der Bürgerschaft die Anzeige gemacht, daß den Vertrauensmännern die Formirung eines Aufsatzes nicht gelungen sei, ohne Angabe, ob überall Candidaten oder eventuell wie viele bereits zum Aufsatz gebracht worden sind.
Es wird sodann in der vorgedachten Weise sofort zur Wahl von acht neuen Vertrauensmännern, vier vom Senat und vier von der Bürgerschaft, geschritten und mit der Beeidigung derselben verfahren.
Dieser neuen Commission wird eine von allen Mitgliedern der ersten Commission unterschriebene und demnächst versiegelte, von ihr zu eröffnende Aufgabe der bis dahin zum Aufsatz gebrachten Personen oder eine Mittheilung, daß Niemand die erforderliche Stimmenzahl erhalten habe, behändigt. Die neue Commission verfährt zum Behuf der Vervollständigung, beziehungsweise der Formirung des Wahlaufsatzes wie die erste Commission.
Erzielt auch diese zweite Commission kein genügendes Resultat, so treten die beiden Commissionen, also acht Vertrauensmänner des Senats und acht Vertrauensmänner der Bürgerschaft, zusammen. Diese haben sodann die noch erforderlichen Candidaten zu wählen.
Durch jede Abstimmung ist nur Ein Candidat zu wählen. Jeder Vertrauensmann schreibt zu dem Ende den Namen eines Candidaten auf einen Zettel. Hiebe genügt relative Majorität der Abstimmenden, um einen Candidaten auf den Aufsatz zu bringen. Die Abstimmung wird, so oft es erforderlich ist, wiederholt.
Nachdem in dieser Weise ein Wahl-Aufsatz von vier Personen gebildet ist, wird derselbe dem Senate, ohne daß dieser erfährt, in welcher Weise die einzelnen Candidaten auf den Aufsatz gelangt sind, von Seinen Commissarien übergeben. Der Senat präsentirt von den vier in Vorschlag Gebrachten zwei der Bürgerschaft, welche von diesen Zweien Einen zu wählen hat.
Wenn bei Erwählung der zweiten Commission von Vertrauensmännern von der Bürgerschaft ein Vertrauensmann erwählt wird, welcher schon als Candidat auf den Aufsatz gebracht ist, hindert ihn dies nicht, an der ferneren Bildung des Wahlaufsatzes Theil zu nehmen. Es ist sodann von diesem Sachverhalt dem Senate bei Übergabe des Wahlaufsatzes, und, wenn jener Vertrauensmann sich auf dem Aufsatz von zwei Personen befinden sollte, den der Senat der Bürgerschaft übergiebt, auch dieser letzteren Anzeige zu machen.
Die Beobachtung der Verschwiegenheit erstreckt sich auch darauf, daß weder die beiderseitigen Vertrauensmänner, noch die Mitglieder des Senates sich irgendwie darüber äußern dürfen, welche vier Personen auf dem Aufsatz gewesen sind, so daß nur die zwei Personen des engeren Aufsatzes bekannt werden.
Die Wahl, welche von der Bürgerschaft gleich nach Überreichung des Wahlaufsatzes vorzunehmen ist, geschieht mittelst Stimmzettel. Der zu Erwählende muß die absolute Mehrheit der Stimmen der anwesenden Bürgerschaftsmitglieder erhalten. Bei Stimmengleichheit erfolgt eine abermalige Abstimmung, und wenn auch diese Stimmengleichheit ergiebt, so entscheidet das Loos.
Die ganze Wahlhandlung erfolgt in ununterbrochener Sitzung sowohl des Senates als der Bürgerschaft.
Die Wahl zum Senatsmitgliede muß von dem Erwählten, bei Verlust der staatsbürgerlichen Rechte und des Rechtes in Stadt oder Gebiet ein bürgerliches Gewerbe zu betreiben, angenommen werden.
Artikel 10
Die Mitglieder des Senats bekleiden ihr Amt lebenslänglich, unter folgenden Beschränkungen:
Nach mindestens sechsjähriger Amtsdauer ist jedes Senatsmitglied berechtigt, seine Entlassung zu verlangen, ohne jedoch Anspruch auf Pension zu haben.
Hat der Abtretende das sechzigste Lebensjahr vollendet und das Amt mindestens zehn Jahre verwaltet, so hat derselbe eine Pension zum Belauf der Hälfte seines Honorars zu genießen.
Jedes Senatsmitglied, welches das siebzigste Lebensjahr überschreitet, ist berechtigt mit einer Pension zum Belauf von zwei Drittheilen seines Honorars aus dem Senat auszutreten.
Artikel 11
Die Fälle, in denen ein Senatsmitglied austreten muß, bestimmt das Gesetz.
Artikel 12
Eine erledigte Stelle im Senate ist regelmäßig binnen vierzehn Tagen wieder zu besetzen.
Artikel 13
Mit dem Amte eines Senatsmitgliedes ist jedes andere öffentliche Amt unvereinbar. Eine sonstige Berufsthätigkeit, mit Ausnahme der Advocatur und des Notariats, dürfen Senatsmitglieder fortsetzen, in so weit dieselbe der Erfüllung ihrer Amtspflichten keinen Abbruch thun.
Artikel 14
Jedes Senatsmitglied muß in der Stadt oder in deren nächster Umgebung auf Hamburgischem Gebiete seinen regelmäßigen Wohnsitz haben, oder sofort nach seiner Erwählung nehmen.
Artikel 15
Jedes Mitglied des Senats hat sich vor Antritt seines Amtes zur getreuen Führung desselben in einer gemeinschaftlichen Versammlung des Senats und der Bürgerschaft eidlich zu verpflichten. Die Form dieser eidlichen Verpflichtung bestimmt das Gesetz.
Artikel 16
Die Mitglieder des Senats erhalten ein gesetzlich zu bestimmendes Honorar.
Artikel 17
Der Senat wählt, in geheimer Abstimmung, aus Seiner Mitte einen ersten und einen zweiten Bürgermeister für die Dauer eines Jahres zu Vorsitzenden.
Kein Bürgermeister darf länger als zwei Jahre nach einander fungiren.
Artikel 18
Der Senat schreibt die Wahlen zur Bürgerschaft aus und verfügt die Zusammenberufung derselben vermittelst ihrer Kanzlei nach ihrer gänzlichen oder theilweisen Erneuerung, sowie in Gemäßheit der Bestimmung Art. 50 unter 1.
Er hat das Recht, den Bürger-Ausschuß zu berufen.
Artikel 19
Der Senat, als Inhaber der vollziehenden Gewalt, ist die oberste Verwaltungsbehörde; er übt die Aufsicht aus über sämmtliche Zweige der Verwaltung. Auch steht ihm die Oberaufsicht zu über sämmtliche Justizbehörden.
Artikel 20
Der Senat hat die gesetzliche Ordnung aufrecht zu erhalten, und die Sicherheit des Staats im Innern, wie nach Außen zu wahren.
Artikel 21
Der Senat verfügt innerhalb der gesetzlichen Schranken über die bewaffnete Macht.
Artikel 22
Der Senat vertritt den Staat in seinen Verhältnissen zu dem übrigen Deutschland und dem Auslande.
Er leitet die auswärtigen Angelegenheiten, führt die auf dieselben bezüglichen Verhandlungen, ernennt die Bevollmächtigten bei anderen Staaten und bei dem deutschen Bunde. Er schließt Handelsverträge und andere Staatsverträge ab, hat aber vor Ratificirung derselben die Zustimmung der Bürgerschaft einzuholen.
Artikel 23
Die dem Staate zustehende Oberaufsicht über die bürgerlichen und religiösen Gemeinden wird vom Senate ausgeübt.
Artikel 24
Das Recht, eine Strafe durch Begnadigung zu mildern oder zu erlassen, steht dem Senate zu.
Eine Ausnahme findet statt in den Fällen des Art. 53, in welchen Fällen der Senat das Begnadigungsrecht nur auf Antrag oder mit Zustimmung der Bürgerschaft ausüben kann.
Eine Amnestie kann nur durch die Gesetzgebung ertheilt werden.
Artikel 25
Die Gesetzgebung wird bestimmen, welche höhere Beamte vom Senate zu ernennen oder zu bestätigen, oder aus einem ihm von der betreffenden Deputation vorzulegenden Wahlaufsatz zu wählen sind. Ist durch die Verfassung oder Gesetzgebung nichts darüber verfügt, so steht die Ernennung dem Senate zu.
Artikel 26
Die dem Staate zu leistenden Eide und die an deren Stelle tretenden Verpflichtungen werden, soweit die Verfassung oder die Gesetze nicht anderweitig darüber bestimmen, vor dem Senate abgelegt.
Artikel 27
Die Mitglieder des Senates sind dem Staat dafür verantwortlich, daß durch ihre Amtsführung weder die Verfassung noch die in anerkannter Gültigkeit bestehenden Gesetze verletzt werden.
Die Bestimmungen über den Umfang und die Geltendmachung dieser Verantwortlichkeit und die Theilnahme der Bürgerschaft an solcher Geltendmachung, sowie über die desfalls zuständigen Gerichte, sollen durch ein Gesetz festgestellt werden.
Über die etwaigen Ansprüche von Privatpersonen an Verwaltungsbehörden und Beamte bestimmt Art. 89.
Dritter Abschnitt.
Die Bürgerschaft
Artikel 28
Die Bürgerschaft besteht aus ein Hundert und zwei und neunzig Mitgliedern.
Artikel 29
Von diesen werden vier und achtzig Mitglieder durch allgemeine directe Wahlen mit geheimer Stimmabgabe erwählt. Zu der Theilnahme an dieser Wahl sind mit Vorbehalt der Bestimmungen des Art. 31 alle diejenigen Stadt- und Landbürger berufen, welche das fünf und zwanzigste Lebensjahr vollendet haben, eine Vermögens- oder Einkommens-Steuer bezahlen, und zur Zeit der Ausschreibung der Wahl mit derselben nicht im Rückstande sind. Das Nähere und die Art der Wahl bestimmt das Wahlgesetz.
Artikel 30
Die übrigen ein Hundert und acht Mitglieder bestehen:
1) aus acht und vierzig Grundeigenthümern als solchen, welche in geheimer Abstimmung von und aus den Eigenthümern solcher städtischer oder vorstädtischer Grundstücke gewählt werden, deren Werth nach der Grundsteuertaxe die Summe der Beschwerung um wenigstens drei Tausend Mark Species übersteigt. Zur Wahlberechtigung ist das vollendete fünf und zwanzigste Lebensjahr erforderlich. Die Wahl geschieht districtsweise nach näherer Anordnung des Wahlgesetzes;
2) aus sechzig Abgeordneten der Gerichte, der Deputationen und Collegien, welche verfassungsmäßig den wichtigeren Zweigen der Verwaltung vorstehen und der zu diesem Behuf in ein Wahl-Collegium zusammentretenden Älterleute der zünftigen Gewerbe. Die Wahl geschieht von den betreffenden Gerichten, Deputationen, Collegien und Älterleuten. Die Senatsmitglieder in den Deputationen und Collegien haben jedoch bei dieser Wahl keine Stimme. Das Nähere bestimmt das Wahlgesetz. Wenn in der Folge durch die Gesetzgebung neue Verwaltungsbehörden oder Deputationen, z. B. für die Gewerbe geschaffen werden sollten, so ist über die Theilnahme derselben an der Bürgerschaft und eine demgemäße anderweite Vertheilung dieser 60 Abgeordneten unter die verschiedenen Wahlcollegien eine Bestimmung zu treffen.
Die Repräsentation unter Art. 3 Nr. 1 beschreibt genau die erbgesessenen Bürger, die bisher direkt Mitglieder der Bürgerschaft waren. Neu vertretungsberechtigt waren die Vermögens- und Einkommensteuerpflichtigen, die nach Art. 29 84 Mitglieder der Bürgerschaft zu wählen hatten.
Artikel 31
Von der Ausübung des Wahlrechtes ausgeschlossen sind:
1) Diejenigen, denen entweder nach Anordnung der Verfassung oder durch strafrichterliches Urtheil die staatsbürgerlichen Rechte entzogen sind, während des dafür festgesetzten Zeitraumes;
2) Diejenigen, welche für sich in Straf- oder Untersuchungshaft befinden;
3) Diejenigen, welche unter Curatel stehen, sowie Diejenigen, welche von der zuständigen Behörde für geisteskrank erklärt sind, so lange die Cura dauert, oder die Wiederherstellung des Geisteskranken nicht anerkannt ist;
4) Diejenigen, über deren Vermögen Concurs ausgebrochen ist, bis sie von allen Ansprüchen ihrer Gläubiger befreit sind.
Artikel 32
Zur Bürgerschaft wählbar ist nur der zur Theilnahme an der Wahl Berechtigte, welcher das dreißigste Lebensjahr vollendet hat und seit mindestens drei Jahren Stadt- oder Landbürger ist.
Artikel 33
Kein Mitglied der Bürgerschaft kann hinsichtlich seines Verhaltens in derselben gültige Verpflichtungen gegen seine Wähler übernehmen; ebensowenig können einem Mitgliede der Bürgerschaft von seinen Wählern bindende Vorschriften ertheilt werden.
Artikel 34
Jeder in die Bürgerschaft Gewählte ist zur Annahme der Wahl verpflichtet bei Verlust der staatsbürgerlichen Rechte und des Rechtes, in Stadt oder Gebiet ein bürgerliche Gewerbe zu betreiben, für die Dauer der nächsten zehn Jahre. Eine Befreiung von diesem Präjudiz, sowie die Entlassung eines bereits eingetretenen Mitgliedes der Bürgerschaft kann, unbeschadet der in den Art. 35 und 36 enthaltenen Bestimmungen, nur durch Beschluß der Bürgerschaft erfolgen.
Artikel 35
Die Mitglieder des Senats können nicht in die Bürgerschaft gewählt werden. Gewesene Senatsmitglieder sind wählbar, können aber die Wahl ablehnen.
Artikel 36
Besoldete öffentliche Angestellte, deren amtliche oder dienstliche Functionen ihren ausschließlichen Geschäftsberuf bilden, sind zur Bürgerschaft nicht wählbar. Ausgenommen von dieser Bestimmung sind die rechtsgelehrten Richter, die Geistlichen aller Confessionen und die Professoren des Gymnasiums, wenn sie den Erfordernissen des Art. 32 genügen. Doch haben Geistliche und die Professoren des Gymnasiums das Recht, die Wahl abzulehnen.
Artikel 37
Über die Gültigkeit der Wahlen entscheidet die Bürgerschaft.
Artikel 38
Die Mitglieder der Bürgerschaft werden auf sechs Jahre gewählt. Alle drei Jahre tritt die Hälfte sowohl der durch allgemeine Wahlen, als der durch die Grundeigenthümer, als auch der durch Gerichte, Deputationen, Collegien und Älterleute erwählten Mitglieder aus.
Artikel 39
Die in Gemäßheit des Art. 38 aus der Bürgerschaft ausgetretenen Mitglieder können wieder gewählt werden.
Artikel 40
Sechs Wochen vor dem Termin der theilweisen Erneuerung der Bürgerschaft (Art. 38) wird der Senat die neuen Wahlen anordnen.
Artikel 41
Bei der im Art. 38 bestimmten theilweisen Erneuerung der Bürgerschaft ist der Senat verpflichtet, innerhalb acht Tagen nach Eintritt des Erneuerungstermines und Vollendung der neuen Wahlen die Bürgerschaft zusammen zu berufen.
Mit dem Tage des Zusammentritts der theilweise erneuerten Bürgerschaft hört die Function der bisherigen Bürgerschaft auf.
folgende Termine zum ersten Zusammentritt der Bürgerschaft nach einer Teilerneuerung sind bekannt
05.12.1859 (SdV 1859 S. 273)
10.12.1862 (SdV 1862 S. 541)
Artikel 42
Ein Mitglied der Bürgerschaft, welches seine Wählbarkeit verliert, tritt aus der Bürgerschaft. Die von den Gerichten, Deputationen, Collegien und Älterleuten erwählten Mitglieder treten aus, sobald sie das Amt niederlegen, vermöge dessen sie Mitglieder der Bürgerschaft sind.
Artikel 43
Bei eintretenden Vacanzen wird durch den Senat die Neuwahl ausgeschrieben; dieselbe geschieht nur für den noch übrigen Theil der Zeit, für welche der Ausgeschiedene gewählt war. Bei Vacanzen unter den durch allgemeine Wahlen und den von den Grundeigenthümern erwählten Mitgliedern können Neuwahlen, namentlich in den letzten sechs Monaten vor der regelmäßigen theilweisen Erneuerung der Bürgerschaft (Art. 38), für einige Zeit ausgesetzt werden, falls Senat und Bürgerschaft darüber einverstanden sind.
Artikel 44
Die Mitglieder der Bürgerschaft verwalten ihr Amt unentgeltlich.
Artikel 45
Die Bürgerschaft ist beschlußfähig, wenn mehr als hundert Mitglieder gegenwärtig sind. Über die Beschlußfähigkeit für Anberaumung der Sitzungszeiten, Tagesordnung, sowie für andere die Geschäftsbehandlung betreffende Fragen bestimmt die Geschäftsordnung.
Artikel 46
Die Sitzungen der Bürgerschaft sind öffentlich. Ausnahmsweise tritt, auf Verlangen von mindestens zehn Mitgliedern oder des Senats, die Bürgerschaft in geheimer Sitzung zusammen, in welcher sie nach Anhörung des Antrages, für welchen die geheime Sitzung verlangt wird, zuerst beschließt, ob die Sitzungen für die Behandlung des in Rede stehenden Gegenstandes eine geheime bleiben soll.
Einem Antrage des Senats auf geheime Sitzung muß, wenn der Antrag sich auf Reichs- und auswärtige Angelegenheiten bezieht, von der Bürgerschaft ohne Weiteres, Folge gegeben werden. Auch sind die Sitzungen ausnahmsweise geheim, wenn der Bürger-Ausschuß dem Antrage des Senats auf eine geheime Sitzung beitritt.
Deputationen werden weder in den Versammlungen der Bürgerschaft noch in den Sitzungen der Ausschüsse zugelassen.
Eingaben an die Versammlung müssen schriftlich und, insofern sie nicht von Behörden ausgehen, immer durch ein Mitglied der Versammlung, welches dadurch mit der Eingabe sich einverstanden erklärt, dem Präsidenten überreicht oder eingesandt werden.
Artikel 47
Über die Art der Abstimmung in der Bürgerschaft bestimmt die Geschäftsordnung. Jedoch muß die Abstimmung, falls mindestens zehn Mitglieder es verlangen, eine geheime sind.
Artikel 48
Kein Mitglied der Bürgerschaft kann von Staatswegen für seine Äußerungen oder Abstimmungen in der Bürgerschaft oder deren Ausschüssen zur Verantwortung gezogen werden.
Die Bürgerschaft hat, nach Maßgabe der Geschäftsordnung, wegen Ordnungswidrigkeiten oder Pflichtverletzungen, gegen ihre Mitglieder auf disciplinarischem Wege zu verfahren.
Artikel 49
Von dem Sitzungs-Protokoll der Bürgerschaft ist dem Senate baldthunlichst Abschrift mitzutheilen.
Artikel 50
Die Bürgerschaft wird vermittelst ihrer Kanzlei zusammenberufen:
1) auf Anordnung des Senats,
2) auf Beschluß des Bürger-Ausschusses,
3) auf ihren eigenen Beschluß,
4) wenn seit ihrer letzten Sitzung mehr als volle drei Monate verflossen sind, auf das an den Präsidenten der Bürgerschaft gerichtete Verlangen von wenigstens Dreißig Mitgliedern.
In den Fällen unter 2, 3 und 4 ist dem Senate zwei Werktage vor der Sitzung die Tagesordnung mitzutheilen.
Artikel 51
Die von der Bürgerschaft erwählten Ausschüsse können sich wegen der zur Vorbereitung legislativer Arbeiten erforderlichen Auskunft direct an den Senat wenden, haben aber auch das Recht solche Auskunft von jedem Staatsangehörigen in eben dem Umfange, in welchem derselbe sie öffentliche Verwaltungsbehörden zu ertheilen schuldig ist, und in sofern nicht besondere Amtspflichten entgegenstehen, zu verlangen.
Artikel 52
Die Bürgerschaft erwählt für die sämmtlichen Verwaltungsbehörden die bürgerlichen Mitglieder, welche nicht von einem anderen Collegium deputirt sind, aus einem von der betreffenden Verwaltungsbehörde mit drei Namen für jede erledigte Stelle vorzulegenden Wahlaufsatze, welchem jedoch sein vierter Name seitens des Bürger-Ausschusses durch einen mit mindestens zweidrittel Mehrheit gefaßten Beschluß hinzugefügt werden kann. An der Entwerfung des Wahlaufsatzes nehmen die Senatsmitglieder der betreffenden Verwaltungsbehörden keinen Theil.
Bei den öffentlichen milden Stiftungen bleibt es bei der bisherigen Wahlart.
Artikel 53
Über die verfassungsmäßige Theilnahme der Bürgerschaft an der Geltendmachung der den Mitgliedern des Senates und der Behörden dem Staate gegenüber obliegenden Verantwortlichkeit, daß durch ihre Amtsführung die Verfassung und die in anerkannter Gültigkeit stehenden Gesetze nicht verletzt werden, ist, ebenso wie über den Umfang jener Verantwortlichkeit und über die desfalls zuständigen Gerichte das Nähere durch ein Gesetz festzustellen.
An den Abstimmungen über Fragen der Controlle oder der Verantwortlichkeit nehmen die etwa in der Bürgerschaft sitzenden davon betroffenen Mitglieder der bezüglichen Verwaltungs-Deputation oder die etwa darin sitzenden von der Sache betroffenen Beamten keinen Theil.
Vierter Abschnitt.
Der Bürger-Ausschuß
Artikel 54
Die Bürgerschaft wählt aus ihrer Mitte den aus zwanzig Mitgliedern bestehenden Bürger-Ausschuß, unter denen jedoch nur fünf Rechtsgelehrte sein dürfen.
Artikel 55
Diejenigen Mitglieder des Ausschusses, welche aus der Bürgerschaft austreten, scheiden auch aus dem Ausschusse und werden durch neue Wahl ersetzt; können aber im Falle der Wiederwahl in die Bürgerschaft auch wieder in den Bürger-Ausschuß gewählt werden.
Artikel 56
Die in den Bürger-Ausschuß gewählten Mitglieder sind, vorbehältlich ihrer Entlassung durch die Bürgerschaft, zur einmaligen Annahme der Wahl und zur Führung dieses Amtes bis zu ihrem Austritte aus der Bürgerschaft verpflichtet, mit Ausnahme derer, die Mitglieder eines Gerichts oder der Finanz-Deputation sind. Die Nichterfüllung dieser Pflicht hat dieselben Folgen, wie bei der Wahl zur Bürgerschaft (Art. 34).
Artikel 57
Der Bürger-Ausschuß wird durch seinen Vorsitzenden oder durch den Senat zusammenberufen.
Artikel 58
Der Bürger-Ausschuß ist beschlußfähig, sobald wenigstens zwölf Mitglieder anwesend sind.
Artikel 59
Die Sitzungen des Bürger-Ausschusses sind nicht öffentlich.
Artikel 60
Der Bürger-Ausschuß ist befugt:
1) auf Antrag des Senates außerordentliche, im Budget nicht aufgeführte Ausgaben bis zu dem bei Beliebung des Budgets für unvorhergesehene Ausgaben festgestellten Totalbelauf, so wie solche nicht schon im regelmäßigen Gange der Verwaltung liegende Veräußerungen von Staatsgut, welche dem Belauf von Mark Banko drei Tausend nicht übersteigen, mitzugenehmigen;
2) auf Antrag des Senats in dringenden Fällen gesetzliche Verfügungen von geringerer Bedeutung bis zur künftigen Zustimmung der Bürgerschaft mitzugenehmigen;
3) vom Senate Auskunft über Staats-Angelegenheiten zu verlangen - die entsprechende Verpflichtung des Senates erleidet eine Ausnahme in Betreff obschwebender Verhandlungen in auswärtigen Angelegenheiten - ;
4) die Zusammenberufung der Bürgerschaft zu veranlassen;
5) der Bürger-Ausschuß ist verpflichtet, die Einhaltung der Verfassung und der auf das öffentliche Recht bezüglichen Gesetze zu überwachen. Etwaige Verletzungen derselben hat der Bürger-Ausschuß sofern Reclamationen beim Senate eine befriedigende Erledigung nicht herbeigeführt haben sollten, der Bürgerschaft zur Erwägung und eventuell zum Behuf der weiteren im Wege des für die Gesetzgebung vorgeschriebenen Verfahrens einzuleitenden Maaßregeln zur Anzeige zu bringen.
Fünfter Abschnitt.
Die Gesetzgebung
Artikel 61
Die Gesetzgebung beruht auf dem übereinstimmenden Beschluß des Senats und der Bürgerschaft.
Das Vorschlagsrecht steht sowohl dem Senate als der Bürgerschaft zu.
Der Senat verkündet die Gesetze, vollzieht dieselben und erläßt die nöthigen Vollzugsverordnungen.
Artikel 62
Gegenstände der Gesetzgebung sind namentlich:
Die Erlassung, authentische Auslegung, Abänderung und Aufhebung von Gesetzen über Gegenstände des öffentlichen und des Privatrechts;
Feststellung oder Abänderung der Geschäftsordnung des Senates, der Bürgerschaft und des Bürger-Ausschusses;
Auflegung, Prolonigirung, Veränderung oder Aufhebung von Steuern und Abgaben;
Abschließung von Staatsanleihen;
Veräußerung von Staatsgut, welche nicht schon im regelmäßigen Gange der Verwaltung liegt (unbeschadet der Bestimmung des Art. 60 sub 1);
Grenzregulirungen;
Genehmigung des vom Senate mit den Specialetats der Bürgerschaft vorzulegenden Voranschlages der gesammten Einnahmen und Ausgaben des Staates für das nächste Jahr im Ganzen und in den einzelnen Theilen, sowie etwaige Nachbewilligungen;
Ratification von Handelsverträgen, sowie von sonstigen Staatsverträgen.
Artikel 63
Nach Ablauf eines jeden Rechnungsjahres hat der Senat baldthunlichst die Abrechnung über die Einnahmen und Ausgaben des verflossenen Jahres, der Bürgerschaft zur Prüfung vorzulegen.
Artikel 64
Die Versammlungen des Senats und der Bürgerschaft können unabhängig von einander stattfinden.
Die gegenseitigen amtlichen Mittheilungen erfolgen schriftlich. Dieselben werden, in sofern sie in öffentlicher Versammlung der Bürgerschaft berathen zu werden bestimmt sind, in der Regel dem Druck übergeben.
Wenn der Senat es für angemessen erachtet, kann Er aus seiner Mitte oder anderweitig zu ernennende Commissarien zu den Versammlungen der Bürgerschaft abordnen, welche alsdann befugt sind, an den Berathungen Theil zu nehmen und welchen auf ihr Verlangen jederzeit das Wort zu ertheilen ist. Anderseits ist der Senat auf den Wunsch der Bürgerschaft verpflichtet, Commissarien abzuordnen, um über einen vorher speciell zu bezeichnenden Gegenstand Auskunft zu ertheilen; doch sind die Commissarien des Senates befugt, die verlangte Auskunft bis zu einer späteren Versammlung der Bürgerschaft auszusetzen. Die verlangte Auskunft kann, je nachdem der Senat es für angemessen erachtet, mündlich oder schriftlich ertheilt werden. Die entsprechende Verpflichtung des Senates erleidet eine Ausnahme in Betreff obschwebender Verhandlungen in äußeren Angelegenheiten.
Artikel 65
Die Bürgerschaft ist berechtigt, vom Senate Auskunft über Staats-Angelegenheiten zu verlangen. Die entsprechende Verpflichtung des Senats erleidet eine Ausnahme in Betreff obschwebender Verhandlungen in Reichs- oder auswärtigen Angelegenheiten. Die Gegenstände, über welche Auskunft verlangt wird, sind vorher schriftlich dem Senate mitzutheilen, dem es sodann freisteht, die verlangte Auskunft schriftlich oder mündlich durch Commissarien mitzutheilen. Bezeichnet die Bürgerschaft ein Auskunftsersuchen als dringlich, so hat der Senat seine Antwort bis zur nächsten Sitzung zu ertheilen, oder die Gründe anzugeben, welche ihn an der Ertheilung einer Auskunft überhaupt oder zur Zeit verhindern.
Artikel 66
Ist in Betreff eines von der Bürgerschaft an den Senat zu bringenden Gegenstandes von einem oder mehreren Mitgliedern der Bürgerschaft ein Antrag eingebracht, so hat diese nach zuvor abgestattetem Gutachten des Bürger-Ausschusses darüber zu entscheiden, ob derselbe in Betracht zu ziehen sei.
Bei Anträgen des Senats an die Bürgerschaft findet eine Verhandlung über die Frage der Inbetrachtnahme nicht Statt.
Artikel 67
Anträge, welche von einem oder mehreren Mitgliedern der Bürgerschaft eingebracht sind, können durch Verneinung der Vorlage, ob sie in Betracht zu ziehen seien, ohne weitere Berathung beseitigt werden. Es geschieht dies, wenn ein Mitglied vor Eröffnung der Discussion eine Abstimmung über die Vorlage verlangt, und die sofort, nachdem dem Antragsteller Gelegenheit zur Begründung seines Antrages gegeben ist, ohne weitere Discussion vorzunehmende Abstimmung eine Majorität von wenigstens zwei Drittheilen der Anwesenden für die Vereinigung ergiebt.
Anträge des Senats an die Bürgerschaft können nicht durch die Vorfrage beseitigt werden, sondern sind immer in Betracht zu ziehen.
Artikel 68
Jeder Antrag, welcher vom Senate der Bürgerschaft vorgelegt ist oder welchen sie in Betracht zu ziehen beschlossen hat (Art. 66), ist einer zweimaligen Berathung und Abstimmung zu unterziehen, bevor derselbe als von ihr angenommen zu betrachten ist, falls sich nicht bei der ersten Abstimmung mindestens zwei Drittheile aller an derselben theilnehmenden Mitglieder und mehr als die Hälfte aller Bürgerschaftsmitglieder für den Vorschlag erklären.
Die zweite Berathung kann frühestens vierzehn Tage nach der Beendigung der ersten beginnen, falls sich nicht mindestens zwei Drittheile aller Anwesenden und mehr als die Hälfte aller Bürgerschaftsmitglieder für eine Abkürzung dieser Frist entscheiden. Jedoch darf auch in diesem Falle die zweite Berathung niemals früher, als am dritten Tage nach Beendigung der ersten beginnen.
Bei Anträgen des Senates kann die zweite Berathung und Abstimmung unterbleiben, wenn die Bürgerschaft, namentlich aus Rücksichten der Dringlichkeit, solches durch einfache Majorität der anwesenden Mitglieder beschließt.
Artikel 69
Wenn der Antrag des Senats von der Bürgerschaft nicht ohne Weiteres, sondern nur mit Modificationen oder Bedingungen angenommen worden ist, und der Senat beschließt, den letzteren Seine Zustimmung zu ertheilen, so kann dies durch eine einfache Mittheilung an den Bürger-Ausschuß geschehen, und dadurch der übereinstimmende Beschluß des Senates und der Bürgerschaft (Art. 61) herbeigeführt werden. Dasselbe abgekürzte Verfahren kann Statt finden, wenn der Senat einen selbstständigen Antrag der Bürgerschaft unverändert genehmigen will.
Wenn ein Antrag des Senates von der Bürgerschaft oder ein Antrag der Bürgerschaft oder ein Antrag der Bürgerschaft vom Senate abgelehnt wird, so bleibt beiden Theilen die Erneuerung der Anträge in derselben oder in veränderter Form unbenommen, bis von dem einen oder dem anderen Theil eine Vermittelungs-Deputation (Art. 70) beantragt wird. Dasselbe ist der Fall, wenn ein Antrag mit Modificationen oder Bedingungen angenommen worden, denen der andere Theil seine Zustimmung nicht ertheilen will.
Artikel 70
Zeigt sich bei der Verhandlung über die wiederholten Anträge zwischen dem Senate und der Bürgerschaft eine beharrliche Meinungsverschiedenheit, so wird auf den Antrag des einen oder des anderen Theiles zunächst eine Deputation von neun Mitgliedern (falls man sich nicht etwa über eine andere Zahl einigt), bestehend aus einen Drittheile aus Mitgliedern des Senates und zu zwei Drittheilen aus Mitgliedern der Bürgerschaft niedergesetzt, welche über Vermittlungsvorschläge zu berathen und demnächst zu berichten hat.
Artikel 71
Wird in Folge des von dieser Deputation zu erstattenden Berichtes, oder der von ihr zu machenden Vorschläge, nachdem Senat und Bürgerschaft darüber wiederum berathen haben, die Meinungsverschiedenheit nicht ausgeglichen, so kommt es auf die Beschaffenheit des Gegenstandes an.
1) Betrifft die Meinungsverschiedenheit die Auslegung der Verfassung oder von Gesetzen, oder ein von dem Senate oder der Bürgerschaft auf Grund der Verfassung oder eines Gesetzes behauptetes Recht, oder die Frage, ob ein Mitglied des Senates oder der Behörden wegen Verletzung der Verfassung oder eines in anerkannter Gültigkeit stehenden Gesetzes zur gerichtlichen Verantwortung zu ziehen sei, so ist die Streitfrage durch das Ober-Appellations-Gericht der vier freien Städte zu Lübeck zu entscheiden, und ist sowohl der Senat als auch die Bürgerschaft berechtigt zu verlangen, daß diese Entscheidung eintreten.
2) Betrifft die Meinungsverschiedenheit einen anderen Gegenstand, bei welchem die gemeinschaftliche Beschlußnahme des Senates und der Bürgerschaft erforderlich ist, so bleibt die Sache bis zu einer gegenseitigen Verständigung unerledigt. Stimmen aber beide Theile darin überein, daß die Entscheidung ohne wesentlichen Nachtheil für das Gemeinwesen nicht ausgesetzt werden dürfe, während sie sich nur über die Modalität derselben nicht verständigen können, so ist die Sache durch den Ausspruch der in den folgenden Artikeln näher bezeichneten Entscheidungs-Deputation zu erledigen.
Handelt es sich dabei um die Prolongation oder Erneuerung eines nur auf eine bestimmte Zeit bewilligten Gesetzes, und ist vor Ablauf dieser Zeit die Einsetzung einer Entscheidungs-Deputation verlangt, so ist das Gesetz als bis zu der erfolgenden Entscheidung prolongirt anzusehen.
Eine Abänderung der Verfassung oder solcher gesetzlicher Bestimmungen, durch welche Rechte des Senates oder der Bürgerschaft festgestellt worden sind, darf niemals durch den Ausspruch einer Entscheidungs-Deputation herbeigeführt werden.
Artikel 72
Die Entscheidungs-Deputation besteht aus einer gleichen Anzahl von Mitgliedern des Senates und der Bürgerschaft, und zwar in der Regel aus sechzehn Mitgliedern, acht von jeder Seite. Mit beiderseitiger Zustimmung kann diese Zahl vermehrt oder vermindert werden.
Die Mitglieder des Senats werden durch das Loos bestimmt. Dasselbe wird unter allen in Hamburg anwesenden Mitgliedern des Senates gezogen.
Die Mitglieder der Bürgerschaft werden in folgender Weise bestimmt:
Sämmtliche anwesende Mitglieder der Bürgerschaft werden durch das Loos in so viele Abtheilungen von möglichst gleicher Anzahl getheilt, als bürgerschaftliche Mitglieder für die Deputation zu wählen sind. Jede dieser Abtheilungen wählt durch Stimmzettel aus ihrer Mitte mit absoluter Stimmenmehrheit ein Mitglied für die Deputation. Ist eine etwa vorhandene Stimmengleichheit durch eine abermalige Abstimmung nicht zu beseitigen, so entscheidet das Loos.
Die Bildung der Entscheidungs-Deputation erfolgt in einer vom Senate anzusetzenden gemeinschaftlichen Sitzung des Senates und der Bürgerschaft, und zwar wird das Loos, um die Mitglieder des Senats für die Deputation zu bestimmen, durch die jüngsten Mitglieder des Bürger-Ausschusses, und das Loos für die in der Bürgerschaft zu bildenden Wahl-Abtheilungen durch die jüngsten Mitglieder des Senats gezogen.
Artikel 73
In derselben gemeinschaftlichen Sitzung des Senates und der Bürgerschaft, oder wenn nicht alle für die Deputation ausgeloosten Senatsmitglieder anwesend seyn sollten, in einer des Endes vom Senate anzusetzenden anderen Sitzung, wird den sämmtlichen Mitgliedern der Deputation durch den ersten oder zweiten Präsidenten des Senates oder, wenn dieser selbst in der Deputation sein sollte, durch das älteste nicht darin befindliche Senatsmitglied folgender Eid abgenommen:
"Ich gelobe und schwöre zu Gotte dem Allmächtigen, daß ich in der zwischen dem Senat und der Bürgerschaft wegen deren Meinungs-Verschiedenheiten nicht erledigten Angelegenheit, zu deren Entscheidung ich verfassungsmäßig berufen bin, bei meiner Abstimmung und meinem Ausspruche nur das allgemeine Beste vor Augen haben, nur nach meinem besten Wissen und Gewissen handeln, mich weder durch Freundschaft noch durch Feindschaft gegen den Senat oder die Bürgerschaft oder die einzelnen Mitglieder derselben oder gegen sonst Jemand, noch auch durch irgend eines Andern Befehl, Autorität und Überredung, geschweige denn durch meinen eigenen oder der Meinigen Privat-Vortheil dabei leiten oder bestimmen lassen, vielmehr so wie ich es nach meinem Gewissen dem Staate nützlich und vor Gott verantwortlich befinden werde, thun und handeln, und auch sowohl was ich selbst als was meine Mitdeputirten bei der uns zur Entscheidung aufgetragenen Sache votiren, thun und lassen werden, niemals irgend einem Menschen innerhalb oder außerhalb des Senates und der Bürgerschaft offenbaren, sondern solches Alles als ein theuer Geheimniß mit in das Grab nehmen will. So wahr mir Gott helfe!"
Artikel 74
Die so erwählte und beeidigte Entscheidungs-Deputation, in der das erste der dazu gehörenden Senatsmitglieder den Vorsitz führt, hat innerhalb vierzehn Tagen nach ihrer Beeidigung in geheimer Sitzung durch einen mit absoluter Stimmenmehrheit zu fassenden Beschluß die streitige Sache endgültig zu entscheiden. Der von ihr Behufs solcher Entscheidung zu fassende Beschluß hat ohne Weiteres mit einem Senats- und Bürgerschaftsschlusse völlig gleiche Kraft und Gültigkeit. Derselbe ist in zwei gleichlautenden Exemplaren niederzuschreiben und von allen Mitgliedern zu unterzeichnen, und, nachdem das eine Exemplar dem Präsidenten des Senats, das andere dem Vorsitzenden der Bürgerschaft durch ein Mitglied der Deputation zugestellt worden, durch den Senat zu publiciren.
Sollte es der Deputation auch bei wiederholter Umfrage nicht gelingen, eine etwa entstandene Stimmengleichheit zu beseitigen, so wird eine Sub-Deputation von fünf Mitgliedern durch das Loos, und zwar in der Art gewählt, daß alle Mitglieder der Deputation ohne Unterschied, ob sie dem Senate oder der Bürgerschaft angehören, in's Loos gebracht und daraus fünf Namen gezogen werden. Die Mehrheit der Stimmen unter diesen fünf Sub-Deputirten entscheidet endgültig über die Punkte, über welche in der Deputation Stimmengleichheit Statt fand.
Artikel 75
Alle Mitglieder des Senats oder der Bürgerschaft, welche zu Mitgliedern der Deputation oder eventuell der Sub-Deputation erwählt worden, sind verpflichtet, diese Functionen anzunehmen, bei Verlust der staatsbürgerlichen Rechte und des Rechtes in Stadt oder Gebiet ein bürgerliches Gewerbe zu betreiben. Von der Verpflichtung, in den Sitzungen zu erscheinen, befreien nur ärztlich bescheinigte Krankheit, Trauerfälle und ähnliche Verhinderungsgründe, über deren Triftigkeit die anwesenden Mitglieder der Deputation entscheiden. Bei länger dauernder Verhinderung eines Mitgliedes wird ein Ersatzmann, beziehentlich von dem Senate in vorgedachter Weise, oder von der Bürgerschaft durch die betreffende Wahlabtheilung, welche zu diesem Behufe wiederum zusammentritt, erwählt.
Sowohl die Deputation als die Sub-Deputation ist nur dann beschlußfähig, wenn sie vollzählig versammelt ist.
Kein Mitglied der Deputation darf sich bei der Abstimmung seiner Stimme enthalten.
Weder die Deputation noch irgend ein Mitglied derselben kann für den gefaßten Beschluß oder die abgegebene Stimme zur Verantwortung gezogen werden.
Artikel 76
Macht sich eine abweichende Ansicht zwischen Senat und Bürgerschaft darüber geltend, ob die Meinungsverschiedenheit, zu der im Art. 71 unter 1) bezeichneten, dem Ober-Appellationsgerichte, oder zu der daselbst unter 2) bezeichneten, der Entscheidungs-Deputation zugewiesenen Kategorie von Meinungsverschiedenheiten gehört, so ist hierüber der Ausspruch des Ober-Appellationsgerichtes einzuholen, welches sich, auch wenn es sich competent erklärt, vorgängig nur auf jenen Ausspruch, ohne in die Sache selbst einzugehen, zu beschränken hat.
Artikel 77
Die vom Senat und der Bürgerschaft übereinstimmend beschlossenen oder auf dem in Art. 72 bis 75 bezeichneten Wege zu Stande gekommenen Gesetze hat der Senat innerhalb 14 Tagen zu verkünden.
Sechster Abschnitt.
Die Verwaltung
Artikel 78
Die Staatsverwaltung zerfällt nach Beschaffenheit der Geschäfte und nach Maaßgabe des Bedürfnisses in mehrere Abtheilungen. Das Gesetz hat die Zahl dieser Abtheilungen und den Wirkungskreis einer jeden zu bestimmen.
Artikel 79
Für jede Verwaltungs-Abtheilung ernennt der Senat eines seiner Mitglieder zum Vorstande. Demselben können noch ein oder zwei Senatsmitglieder beigeordnet werden. Auch kann, wenn die Verhältnisse es nöthig machen, ein Wechsel der Personen eintreten.
Artikel 80
Die Gesetzgebung verfügt, für welche Zweige der Verwaltung Deputationen bestehen sollen. Die Letzteren werden aus den dazu ernannten Senatsmitgliedern und einer Anzahl von Bürgern zusammengesetzt. Inwiefern besoldete Beamte Mitglieder solcher Deputationen sein können, bestimmt das Gesetz.
Artikel 81
Die bürgerlichen Mitglieder der Deputationen bekleiden ihr Amt während einer durch das Gesetz zu bestimmenden Anzahl von Jahren und verwalten dasselbe unentgeltlich.
Die Wahl dieser Mitglieder ist durch Art. 52 geregelt.
Artikel 82
Ausgeschlossen von der Wählbarkeit zum Mitgliede einer Deputation sind Alle, welche zur Bürgerschaft nicht wählbar sind, sowie die rechtsgelehrten Richter.
Artikel 83
Jeder Bürger ist, ausgenommen in den im Art. 84 bestimmten Fällen, zur Annahme der Wahl in eine Deputation und zur Fortführung des Amtes während der gesetzmäßigen Zeit verpflichtet, vorbehältlich der Entlassung durch die Bürgerschaft oder durch die gesetzgebende Gewalt, wenn das betreffende Deputationsmitglied nicht von der Bürgerschaft gewählt wurde. Die Nichterfüllung dieser Pflicht hat dieselben Folgen, wie bei der Wahl zur Bürgerschaft (Art. 34).
Ein Mitglied, welches seine Wählbarkeit zur Bürgerschaft verliert, muß aus der Deputation ausscheiden.
Artikel 84
Zur Annahme der Wahl in eine Deputation oder in ein Gericht sind diejenigen Staatsbürger nicht verpflichtet, welche am Tage der Wahlhandlung ihr sechszigstes Lebensjahr zurückgelegt haben, sowie diejenigen, welche bereits Mitglieder derselben Deputation oder desselben Gerichts gewesen sind oder dem Bürger-Ausschuß angehören. Auch ist Niemand verpflichtet, Mitglied zweier Deputationen oder zweier Gerichte, oder eines Gerichtes und einer Deputation zu gleicher Zeit zu seyn. Welche Wahlen den Austritt des Gewählten aus anderen Deputationen oder Gerichten, deren Mitglied derselbe ist, nothwendig machen, oder ihn zu solchem Austritt berechtigen, bestimmt das Gesetz.
Artikel 85
In jeder Deputation führt ein Senatsmitglied den Vorsitz; in einzelnen Abtheilungen der Deputationen ist dies jedoch nicht nothwendig.
Artikel 86
Jede Deputation faßt ihre Beschlüsse durch absolute Stimmenmehrheit. Jedoch ist der Vorsitzende der Deputation berechtigt, gegen den Beschluß, welcher nach seiner Ansicht der Verfassung oder einem Gesetz zuwiderläuft, oder eine Überschreitung der verfassungsmäßigen Geldbewilligungen veranlassen würde, Einspruch zu thun und die Sache dem Senate vorzulegen, welcher Letztere sodann unter seiner Verantwortlichkeit über das erhobene Bedenken entscheidet, unbeschadet der Befugniß der Deputation, die Sache zur etwaigen Einleitung des im Art. 60 unter 5 bezeichneten Verfahrens dem Bürgerausschuß vorzulegen.
Artikel 87
Nach Maaßgabe der gesetzlichen Bestimmungen ist jedes Mitglied einer Deputation für die, ihm als Einzelnem obliegende Amtsführung dem Staate verantwortlich; der Vorsitzende ist außerdem dafür, daß durch die Beschlüsse der Deputation die Verfassung nicht verletzt werde.
Artikel 88
Über Beschwerden in Verwaltungsangelegenheiten entscheidet der Senat in letzter Instanz, unbeschadet der gerichtlichen Entscheidung in dem, im Art. 89 vorgeschriebenen Falle.
Artikel 89
Die Verwaltungsbehörden und Beamten können, ohne daß es einer besonderen Erlaubniß dazu bedarf, von Jedem, der sich durch ihre amtlichen Handlungen in seinem Privatrechte verletzt glaubt, auf Entschädigung oder Genugthuung gerichtlich belangt werden. Das Nähere, und namentlich die Vorbeugungsmaaßregeln gegen den Mißbrauch dieses Rechtes bestimmt das Gesetz.
Artikel 90
Die einzelnen Deputationen sind befugt, dem Senate Vorschläge über die in ihren Geschäftskreis fallenden Angelegenheiten zu machen, und verpflichtet, demselben über solche ihnen vorgelegte Gegenstände Berichte und Gutachten zu ertheilen.
Artikel 91
Jeder Verwaltungszweig hat sein Special-Budget für das nächste Jahr und die Abrechnung über Einnahmen und Ausgaben für das verflossene Jahr so zeitig dem Senate einzureichen, daß dieser das General-Budget und die vollständige Jahresrechnung rechtzeitig der Bürgerschaft vorzulegen im Stande ist.
Artikel 92
Die Behörde, welche die Hauptstaatscasse zu verwalten hat, darf niemals einer anderen Behörde eine größere Summe auszahlen, als dieser letzteren im Ganzen verfassungsmäßig bewilligt ist. Ausnahmsbestimmungen für die Anfangszeit des Rechnungsjahres, falls das Budget alsdann noch nicht festgestellt sein sollte, bleiben der Gesetzgebung vorbehalten.
Artikel 93
Zur Förderung der Interessen des Handels erwählt die Kaufmannschaft, zur Förderung des Gewerbebetriebes wählen die Gewerbetreibenden einen Ausschuß. Die Art der Wahl, der Wirkungskreis dieser Ausschüsse und deren Verhältnisse zu den Staatsbehörden werden durch die Gesetzgebung bestimmt.
Artikel 94
Sämmtliche milde Stiftungen und Wohlthätigkeits-Anstalten stehen unter Oberaufsicht des Staates. Das Nähere bestimmt das Gesetz.
Siebenter Abschnitt.
Die Rechtspflege
Artikel 95
Die richterliche Gewalt kann nur von den gesetzlich angeordneten Gerichten ausgeübt werden.
Artikel 96
Die Verwaltungsrechtspflege hört auf; über alle Rechtsverletzungen entscheiden die Gerichte, insofern nicht die Betheiligten in einer Verwaltungs-Angelegenheit sich den Entscheidungen der Verwaltungsbehörde freiwillig unterwerfen, oder von der künftigen Gesetzgebung Ausnahmen gemacht werden.
Der Polizei steht keine Strafgerichtsbarkeit zu.
Artikel 97
Im Zweifelsfalle, ob eine Sache im Verwaltungs- oder im Rechtswege zu erledigen sei, ist die darüber erfolgte rechtskräftige gerichtliche Entscheidung für alle Behörden verpflichtend.
Hierdurch sind jedoch unter dringenden Umständen vorläufige Verfügungen der Verwaltungsbehörden vor ausgemachter Sache nicht ausgeschlossen.
Artikel 98
Das Gerichtsverfahren soll öffentlich und mündlich sein.
Die Öffentlichkeit kann nur in einzelnen Fällen, soweit sie die Sittlichkeit gefährden würde, die Mündlichkeit, wo besondere Umstände es nothwendig machen, durch Beschluß des Gerichts beschränkt werden.
Artikel 99
In Strafsachen soll das Anklageverfahren stattfinden.
Artikel 100
In schwereren Strafsachen, so wie über alle Anklagen wegen politischer Vergehen sollen Geschwornengerichte urtheilen.
Artikel 101
Die bürgerliche Rechtspflege soll in Sachen besonderer Berufserfahrung durch sachkundige von den Berufsgenossen gewählte Richter mitgeübt werden. Namentlich wird ein Handelsgericht und ein Gewerbegericht bestehen.
Artikel 102
Auch bei den übrigen collegialisch besetzten Gerichten nehmen an der Entscheidung nichtrechtsgelehrte Mitglieder Theil.
Artikel 103
Die rechtsgelehrten Mitglieder der Gerichte beziehen ein gesetzlich bestimmtes Honorar, bekleiden ihr Amt lebenslänglich und dürfen neben demselben kein anderes Berufsgeschäft betreiben.
Artikel 104
Die Gesetzgebung hat die Wahlart der Richter, so wie die Fälle und Formen zu bestimmen, in welchen ein Richter wegen körperlicher oder geistiger Schwäche in Ruhestand zu versetzen, oder wegen Unwürdigkeit vom Amte zu entfernen ist.
Artikel 105
Jeder Bürger ist, ausgenommen in den im Art. 84 bestimmten Fällen, zur Annahme der Wahl zum nichtrechtsgelehrten Mitgliede eines Gerichts und zur Führung dieses Amtes während der gesetzmäßigen Zeit verpflichtet, vorbehältlich der Entlassung durch die Bürgerschaft oder durch die gesetzgebende Gewalt, wenn er nicht von der Bürgerschaft gewählt wurde.
Die Nichterfüllung dieser Pflicht hat dieselben Folgen, wie bei der Wahl zur Bürgerschaft (Art. 34).
Artikel 106
Friedensgerichte zur Entscheidung der minder erheblichen, und zum vorgängigen Vergleichsversuch bei erheblichen Streitigkeiten sind in den Landgemeinden durch die Gesetzgebung einzuführen.
Artikel 107
Die Mitglieder der Gerichte haben beim Antritt ihres Amtes die getreue Erfüllung ihrer Amtspflichten zu geloben.
Artikel 108
Die Gesetzgebung hat das Nähere über die gerichtlichen Behörden, über deren Organisation, Verfahren und Zuständigkeit, so wie über die Anordnung der Rechtspflege für das Amt Ritzebüttel zu bestimmen.
Artikel 109
Die Bestimmungen dieser Verfassung haben keine Anwendung auf das mit den drei anderen freien Städten Deutschlands gemeinschaftliche Ober-Appellationsgericht.
Achter Abschnitt.
Die religiösen Gemeinschaften
Artikel 110
Volle Glaubens- und Gewissensfreiheit wird gewährleistet.
Durch das religiöse Bekenntniß wird der Genuß der bürgerlichen und staatsbürgerlichen Rechte weder bedingt noch beschränkt.
Den bürgerlichen und staatsbürgerlichen Pflichten darf dasselbe keinen Abbruch thun.
Über die Bedingungen zur Bildung neuer religiöser Gemeinschaften entscheidet das Gesetz.
Die gesetzmäßig bestehenden und die künftig sich bildenden religiösen Gemeinschaften verwalten ihre Angelegenheiten selbstständig jedoch unter Oberaufsicht des Staates.
Neunter Abschnitt.
Das Unterrichtswesen
Artikel 111
Der Staat übt die Oberleitung und Oberaufsicht über das gesammte Unterrichts- und Erziehungswesen vermittelst einer Ober-Schulbehörde aus. Das Nähere bestimmt das Gesetz.
Artikel 112
Das Unterrichtswesen soll nach Maaßgabe der grundrechtlichen Bestimmungen durch ein Gesetz geordnet werden.
Zehnter Abschnitt.
Die bewaffnete Macht
Artikel 113
Jeder Staatsangehörige ist wehrpflichtig. Die Ausnahmen von der Dienstpflicht, die Zeit für die Einstellung zum Dienst, die Dauer der Dienstzeit so wie die Organisation der bewaffnete Macht überhaupt bestimmt das Gesetz.
Eilfter Abschnitt.
Die Gemeinden
Artikel 114
Die Stadt Hamburg bildet mit der jetzigen Vorstadt St. Georg eine Gemeinde. In welchen Beziehungen die Vorstadt St. Pauli dieser Stadtgemeinde angehört und in wie fern sie eine eigene Gemeinde bildet, wird durch die Gesetzgebung bestimmt.
Artikel 115
Die Landgemeinden behalten, so lange nicht eine anderweitige Bestimmung von der Gesetzgebung getroffen wird, ihre bisherige Begrenzung nach Vogteien.
Artikel 116
Zur Bildung einer neuen Gemeinde ist ein Beschluß der gesetzgebenden Gewalt erforderlich.
Artikel 117
Jeder Staatsangehörige soll Angehöriger einer Gemeinde sein. Jedes Grundstück soll einem Gemeindeverbande angehören.
Artikel 118
Die Bedingungen, unter denen das Gemeindebürgerrecht erworben wird, sind von der Gesetzgebung festzustellen.
Jeder, der das Gemeindebürgerrecht in der Stadt oder einer der Landgemeinden erwerben will, muß volljährig, oder von der hiesigen zuständigen Behörde für volljährig erklärt seyn, und auf die Staatsverfassung sich eidlich verpflichten (Art. 5.)
Artikel 119
Die Angelegenheiten der Stadtgemeinde werden in derselben Weise, wie die den ganzen Staat betreffenden, von dem Senat und derer Bürgerschaft geleitet.
Artikel 120
Die für die verschiedenen Zweige der Staatsverwaltung bestellten Behörden führen zugleich die Verwaltung der städtischen Angelegenheiten; es bleibt jedoch der Gesetzgebung unbenommen, für einzelne städtische Verwaltungen besondere Behörden zu gestatten.
Artikel 121
Die Grundsätze für die Verfassungen der Landgemeinden werden durch eine, von der Gesetzgebung zu beschließende Gemeindeordnung bestimmt. Nach Anleitung dieses Gesetzes hat jede Landgemeinde selbstständig ihre Verfassung festzustellen.
Artikel 122
Jedenfalls stehen jeder Landgemeinde folgende Rechte zu, bei deren Ausübung der Staat die Oberaufsicht führt:
1) Freie Wahl der Gemeindevorsteher und Vertreter.
2) Selbstständige Verwaltung der Gemeindeangelegenheiten.
3) Öffentlichkeit der Verhandlungen der Gemeindevertreter.
4) Selbstbesteuerung zu Gemeindezwecken.
5) Veröffentlichung des Gemeindehaushaltes.
Das Recht, an der Wahl der Vertreter Theil zu nehmen und zum Vertreter gewählt zu werden, besitzt jeder Gemeindebürger, welchem das gleiche Recht in Bezug auf die Bürgerschaft zusteht. Das Gesetz kann jedoch den Kreis der Wähler erweitern.
Das Gesetz bestimmt die Gemeindeordnung.
Zwölfter Abschnitt.
Schlußbestimmungen
Artikel 123
Zu einer Abänderung der Verfassung ist erforderlich:
a) ein im Wege der Gesetzgebung, und zwar von der Bürgerschaft durch Zweidrittel-Majorität aller Abgeordneten, gefaßter Beschluß;
b) die Bestätigung dieses Beschlusses durch die Bürgerschaft
1) durch Drei-Viertheils-Majorität aller Abgeordneten nach ihrer, in verfassungsmäßiger Zeit vollzogenen Erneuerung um die Hälfte;
oder;
2) durch Zwei-Drittheils-Majorität aller Abgeordneten nach ihrer zu den verfassungsmäßigen Zeiten vollzogenen zweimaligen Erneuerung um die Hälfte. Diese Zwei-Drittheils-Majorität genügt indessen nur dann, wenn auch nach der ersten halbschichtigen Erneuerung freilich keine Drei-Viertheils-Majorität, wohl aber eine Zwei-Drittheils-Majorität zustimmig gewesen ist
oder:
3) nach ihrer Integral-Erneuerung, welche für diesen Fall durch Beschluß des Senates und der Bürgerschaft beliebt werden kann, und nach Verlauf von sechs Monaten seit der Fassung des ersten Beschlusses, durch Zwei-Drittheils-Majorität aller Mitglieder der integral erneuerten Bürgerschaft.
Durch Gesetz vom 19. Februar 1869 wurden die Art. 123 bis 125 aufgehoben und durch folgende Bestimmungen ersetzt:
"Zu einer die Verfassung abändernden Bestimmung ist erforderlich:
a. ein im Wege der Gesetzgebung, und zwar von der Bürgerschaft bei Anwesenheit von mindestens drei Viertheilen sämmtlicher Mitglieder und mit Drei-Viertheils-Majorität der anwesenden Mitglieder gefaßter Beschluß.
b. die Bestätigung dieses Beschlusses der Gesetzgebung durch einen ebenfalls bei Anwesenheit von mindestens drei Viertheilen sämmtlicher Mitglieder mit Drei-Viertels-Majorität der anwesenden Mitglieder, frühestens 21 Tage nach der ersten Beschlußfassung der Bürgerschaft gefaßten Beschluß.
Treten weniger als drei Viertheile der in der erforderlichen Anzahl anwesenden Mitglieder dem Beschlusse bei, so ist demselben keine weitere Folge zu geben, und der bezügliche Vorschlag als abgelehnt zu betrachten."Wesentliche Vereinfachung von Verfassungsänderungen.
Artikel 124
Vorschläge zu Abänderungen der Verfassung können sowohl von dem Senate als von der Bürgerschaft ausgehen. Der Beschluß darüber wird zunächst auf dem Wege der gewöhnlichen Gesetzgebung durch Übereinstimmung zwischen dem Senate und der Bürgerschaft herbeigeführt, so jedoch, daß der Beschluß der Bürgerschaft nur durch Zwei-Drittheils-Majorität aller Abgeordneten gefaßt werden kann.
Dieser Beschluß ist - insofern nicht in Gemäßheit Art. 123 b, 3 die Integral-Erneuerung der Bürgerschaft beschlossen ist - der Bürgerschaft nach ihrer,. in verfassungsmäßiger Frist vollzogenen theilweisen Erneuerung zur Bestätigung vorzulegen.
Erfolgt die Bestätigung durch eine Mehrheit von drei Viertheilen aller Abgeordneten, so ist die Verfassungs-Änderung als endgültig beschlossen, zur Ausführung zu bringen.
Erklären sich nicht drei Viertheile, wohl aber zwei Drittheile aller Abgeordneten für denselben, so ist derselbe der Bürgerschaft nach der nächsten halbschichtigen Erneuerung abermals vorzulegen und kann alsdann von ihr mit Zwei-Drittels-Majorität aller Abgeordneten rechtsgültig bestätigt werden.
Treten in dem einen oder anderen Falle weniger als zwei Drittheile der Bürgerschaft dem Beschlusse bei, so ist demselben keine weitere Folge zu geben.
Durch Gesetz vom 19. Februar 1869 wurden die Art. 123 bis 125 aufgehoben.
Artikel 125
Wenn dagegen Senat und Bürgerschaft - letztere wiederum mit Zwei-Drittheils-Majorität aller Abgeordneten - die Integral-Erneuerung der Bürgerschaft beschließen, so hat der Senat nach Feststellung dieses Beschlusses die Neuwahlen und Deputations-Ernennungen so zeitig zu veranlassen, daß die neue - innerhalb acht Tagen nach Vollendung der Wahlen vom Senat zusammen zu rufende - Bürgerschaft zu dem im Art. 123 unter 3 bestimmten Zeitpunkt zusammentreten kann.
Der vollständig neu gewählten Bürgerschaft ist der Beschluß der früheren Bürgerschaft erst, wenn sechs Monat seit Fassung desselben verflossen sind, zur Bestätigung vorzulegen. Erfolgt dieselbe mit einer Majorität von zwei Drittheilen aller Bürgerschaftsmitglieder, so ist die Verfassungs-Änderung als endgültig beschlossen zur Ausführung zu bringen. Erklären sich nicht zwei Drittheile aller Bürgerschaftsmitglieder für die Bestätigung des Beschlusses, so ist demselben keine weitere Folge zu geben.
Durch Gesetz vom 19. Februar 1869 wurden die Art. 123 bis 125 aufgehoben.
Artikel 126
Nachdem die Verfassung zehn Jahre lang in Wirksamkeit gewesen, soll eine Revision derselben vorgenommen und hinsichtlich der hierbei in Anregung gebrachten Abänderungen nach Maaßgabe der Artikel 123 bis 125 verfahren werden.
Wenn bei dieser Revision der Senat und die Bürgerschaft sich zu dem Beschlusse vereinigen, daß keine Abänderung vorzunehmen sei, so ist die Revision damit erledigt.
Artikel 127
Im Falle eines Krieges oder Aufruhrs können die verfassungsmäßigen oder gesetzlichen Bestimmungen über Gerichtsstand, Verhaftung, Haussuchung, Presse und Versammlungsrecht von dem Senate zeitweilig außer Kraft gesetzt werden. Doch bedarf diese Suspension der sofortigen Zustimmung der Bürgerschaft. Kommt die Bürgerschaft auf erfolgte Berufung nicht in beschlußfähiger Anzahl zusammen, so hat der Senat alsbald die Zustimmung des Bürger-Ausschusses einzuholen.
siehe nach dem 1. Juli 1867 auch den Art. 68 der Verfassung des Norddeutschen Bundes (Reichsbelagerungszustand); die landesverfassungsrechtlichen Bestimmungen blieben jedoch unberührt und waren im Rahmen der Landesgesetze weiterhin vollziehbar, solange nicht der Reichsbelagerungszustand erklärt wurde.
Artikel 128
Eine solche Suspension tritt jedesmal nach Ablauf von vier Wochen, vom Tage des gefaßten Beschlusses an, außer Kraft. Die etwaiger Verlängerung derselben kann immer nur auf höchstens vier Wochen und nur in derselben Weise geschehen, wie die ursprüngliche Beschlußnahme.
Bekanntmachung
Nachdem nunmehr erfolgter vollständiger Feststellung der Verfassung der freien und Hansestadt Hamburg hat der Senat die Publication derselben, so wie der folgenden von Senat und Bürgerschaft beschlossenen Gesetze,
1) Gesetz über die Wahl und Organisation des Senates;
2) Gesetz, betreffend den Bürgereid;
3) Provisorische Bestimmungen für die Organisation der Finanz-Verwaltung;
4) Provistorisches Gesetz, betreffend Veränderungen in der Organisation der Justiz;
5) Gesetz, betreffend die Verhältnisse der evangelisch-lutherischen Kirche;
6) Gesetz, betreffend Aufhebung der dem Collegium der Sechziger hinsichtlich der Bildung neuer religiöser Gemeinschaften ertheilten Vollmacht;
7) Transitorische Bestimmungen, insbesondere für den Verfassungs-Abschnitt, betreffend den Senat und die in der Organisation des Senates, der Finanz- und der Justiz-Berhörden, so wie in den Verhältnissen der evangelisch-lutherischen Kirche vorzunehmenden Abänderungen;
verfügt und werden diese Publicanda, nachdem, der Druck derselben vollendet, am Freitag den 28. September d. J. im Amtsblatt und in einzelnen Abdrücken bei dem Rathsbuchdrucker erscheinen.
Dabei wird darauf aufmerksam gemacht, daß, während die Verfassungs-Abschnitte 3 bis 5 bereits publicirt und eingeführt sind, die Verfassungs-Abschnitte 1, 2, 6, 8, 9, 10 und 12, so wie die sub 1 bis 6 angeführten Gesetze nach Maßgabe der Transitorischen Bestimmungen an einem vom Senate, nachdem die dazu erforderlichen Einleitungen getroffen sein werden, zu bestimmenden und bekannt zu machenden Tage in Wirksamkeit treten werden, die Einführung der Verfassungs-Abschnitte 7 und 11 jedoch, weil es dazu einer vorgängigen Feststellung der betreffenden organischen Gesetze bedarf, bis zu der fördersamst vorzunehmenden Ausarbeitung und Beliebung dieser Gesetze ausgesetzt bleibt.
Gegeben in Unserer Raths-Versammlung.
Hamburg, den 28. September 1860
Die vorstehende Verfassung ist eine Totalrevision der reichsstädtischen Verfassung der Jahre 1710 bis 1712 (Haupt-Receß und Unions-Recesse) und erstmals in moderner Form in einer einzigen Urkunde vereinigt. Mit dem Jahr 1860 tritt Hamburg als letzte der vier freien Städte und als letzte der drei Hansestädte in den Stand eines Verfassungsstaates ein.
Die Verfassung fußt zwar in der Geschichtsschreibung auf dem, durch die hamburgischer Konstituante von 1848/49 verabschiedete Verfassungsentwurf. Doch da dieser erst im Juli 1849, bereits nach dem faktischen Scheitern der Reichsverfassung verabschiedet wurde, und von den beschließenden Organe der alten reichststädtischen Verfassung von 1710-12, dem Einen Hochedlen Rath und der erbgesessenen Bürgerschaft nicht bestätigt wurde, dafür aber eine Deputation zur Verhandlung mit der Konstituante eingesetzt wurde, die sich einer Verhandlung verweigerte, da diese der Volkssouveränität widersprochen hätte, hat diese neunköpfige Deputation wesentliche Veränderungen an dem Verfassungsentwurf der Konstituante angebracht, die zwischen 1852 und 1854 nochmals vom Einen Hochedlen Rath (also dem Senat, der "Obrigkeit" der damaligen Zeit) durchgesehen und verändert wurde. Dieser Entwurf gelangte, weil die Konservativen in der erbgesessenen Bürgerschaft sich ihrer wohlerworbenen Rechte beraubt sah, dem Deutschen Bund vorgelegt, weshalb der obigen Verfassungsentwurf in den Protokollen der Bundesversammlung veröffentlicht wurde.